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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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ihm, kniet sich hin und sagt etwas zu Joshua, das ihn seine Mundwinkel nach oben ziehen lässt.
    „Wir müssen Sie wirklich ins Krankenhaus bringen, Ma’am. Der Officer wird hierbleiben und sich um den Jungen kümmern.“
    „Ich glaube, ich muss mich wieder übergeben“, stößt Claire beschämt hervor.
    „Das ist okay.“ Er nickt Claire zu. „Ich bin sicher, dass Sie eine Gehirnerschütterung haben. Nur keine Hemmungen.“
    Als Claire im Krankenhaus ankommt und in den Notaufnahmebereich geschoben wird, ist Jonathan bereits da, er steht an der Tür und wartet nervös.
    „Claire?“, fragt er, als die Trage zum Halten kommt. „Claire, geht es dir gut?“
    „Joshua“, sagt sie. „Wo ist Joshua?“ Schnell setzt sie sich auf,und ein höllischer Schmerz schießt ihr durch den Kopf, als sie sich nach ihrem Sohn umschaut.
    „Ihm geht es gut“, versichert Jonathan ihr. Tränen steigen ihm in die Augen, als er seine Frau anschaut. „Ein Polizist ist mit ihm gerade auf dem Weg hierher.“ Zärtlich streichelt er ihr den Kopf. „Wie geht es dir? Was ist passiert?“
    Claire versucht, den Raubüberfall zu beschreiben, während der Sanitäter sie den Krankenhausflur entlangrollt. Jonathan hält im Gehen ihre Hand, aber ihre Augen sind so schwer und fallen immer wieder zu. Sie will nur noch schlafen, kämpft jedoch tapfer dagegen an. „Du hättest Joshua sehen sollen“, sagt sie, und in ihrer Stimme schwingen Stolz und Erstaunen mit. Claire schaut auf ihr Handgelenk, das, was Joshua so fest umklammert gehalten hat, während sie auf Hilfe gewartet haben. Sie verspürt ein Gefühl der Panik, als sie sieht, dass seine Fingerabdrücke verschwunden sind. Einen Moment lang hat sie das Gefühl, Joshua wäre fort, von immer von ihr gerissen. Aber dann hört sie das vertraute Geräusch seiner Schritte, und gleich darauf ist er auch schon an ihrer Seite.
    „Mein mutiger Junge“, flüstert Claire und streckt ihre Hand nach ihm aus, bevor der Schlaf sie endgültig übermannt.

ALLISON
    Während der Gruppensitzungen versuche ich immer zu entscheiden, ob ich etwas sagen soll oder nicht. Heute erhält jede von uns die Gelegenheit, über Beziehungen zu sprechen, die vielleicht dazu beigetragen haben, eine falsche Entscheidung zu treffen. Ich denke darüber nach und komme zu dem Schluss, dass niemand in der Geschichte von Linden Falls jemals so schnell und gründlich abgestürzt ist wie ich. Ich war die perfekte Tochter von ebenso perfekten Eltern, aber rückblickend weiß ich nicht … Meine Eltern stellten sicher, dass wir etwas zum Anziehen und zu essen hatten, sorgten dafür, dass unsere akademischen, sportlichen und sozialen Bedürfnisse gestillt wurden. Wir gingen sogar jeden Sonntag zur Kirche, aber trotzdem fehlte etwas. Zwischen Schwimmunterricht, Volleyballturnieren, dem Vorbereitungskurs für die College-Aufnahmeprüfungen und Jugendaktivitäten der Kirche gab es nicht viel. Wir haben nicht wirklich miteinander gesprochen oder gar zusammen gelacht. Auch kann ich mich an nichts erinnern, das nicht in einen strikt organisierten Plan gepasst hätte und in dem Kalender markiert worden wäre, der in unserer Küche an der Wand hing. Also könnte ich in der Gruppe über meine Eltern sprechen und unsere mangelnde Kommunikation erwähnen. Könnte berichten, dass ich mir ganz sicher war, keine Möglichkeit zu haben, meinen Eltern von der Schwangerschaft zu erzählen.
    Aber wenn ich ehrlich bin, war Christopher an allem schuld.
    Ich habe ihn zufällig am St. Anne’s College kennengelernt. Gerade hatte ich die Aufnahmeprüfung zum zweiten Mal absolviert, weil ich ein noch besseres Ergebnis erzielen wollte. Mein Ziel waren perfekte 2.400 Punkte. Nur ungefähr dreihundert Studenten pro Jahr schafften das, und ich wollte eine davon sein.
    Es war Samstagnachmittag, und ich trat aus dem Klassenzimmer in den hellen Sonnenschein, nachdem ich den Test wie in Trance absolviert hatte und in meinem Kopf die Examensfragen und -antworten herumgewirbelt waren. Ich war müdeund hungrig und krank vor Sorge darüber, wie ich abgeschnitten hatte. Ich musste einen Monat warten, bis ich das Ergebnis erfahren würde. Bei dem Gedanken bekam ich ein flaues Gefühl in der Magengegend und blieb wie erstarrt stehen. Ich muss verloren oder krank ausgesehen haben, denn als ich meine Umgebung wieder wahrnahm, stand ein Junge neben mir und schaute mich besorgt an. Er war größer als ich – das registrierte ich als Erstes. Nicht viele Jungen sind größer

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