Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
einließ, definitiv etwas nicht stimmen. Also habe ich ein Geheimnis aus unserer Verbindung gemacht.
In den drei Wochen, die ich mit ihm zusammen war, habe ich außerhalb der Schule nicht ein einziges Mal ein Buch aufgeschlagen. Meine Hausaufgaben habe ich in Windeseile vor der Schule oder in den Freistunden erledigt. Meine Noten wurden schlechter. Ich ging zum Volleyballtraining, aber meine Gedanken waren nicht bei dem, was der Coach sagte. Meine Mutter fragte mich, ob mit mir alles in Ordnung sei. Brynn schaute mich neugierig an, sagte aber nichts. Genau wie meine Lehrer. Ich bin sicher, sie dachten: Niemand ist perfekt, nicht einmal Allison Glenn. Ich denke, insgeheim waren sie erfreut, mich einmal so zu sehen – durchschnittlich wie der Rest. Und was mich angeht: Ich war einfach nur überglücklich.
In der ersten Woche haben wir uns an ganz normalen Orten getroffen – im Kino, in Restaurants, im Park. Aber am darauffolgenden Samstag hat er mich mit zu sich nach Hause genommen. Wir hatten uns im Stadtpark getroffen, dann bin ich in sein Auto gestiegen, und er hat uns durch Linden Falls und über den Druid River aufs Land hinaus gefahren. „Du wohnst nicht in der Stadt?“, hatte ich ihn überrascht gefragt.
„Nein, ich wohne etwas außerhalb von Linden Falls“, hatte er erklärt.
Es war ein süßes Haus. Schlicht und klein, aber sauber.
Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine Dose Mineralwasser heraus.
„Komm, ich zeige dir mein Zimmer.“ Schüchtern und fragend sah ich ihn an. „Willst du nicht?“, fragte er und legte seinen Arm um meine Taille, um mich an sich zu ziehen.
„Doch, klar“, erwiderte ich und küsste ihn.
Er führte mich in sein Schlafzimmer. Es war ein kleiner, dunkler Raum mit einer karierten Bettdecke und kahlen Wänden. „Du hast es nicht so mit Inneneinrichtungen, oder?“, neckte ich ihn.
„Ein Mann sollte mit leichtem Gepäck reisen“, gab er zurück und schob die Hände unter den Bund meiner Jeans.
„Hast du vor, irgendwo hinzugehen?“ Ich zog ihm das T-Shirt über den Kopf.
„Ja, habe ich.“ Er grinste mich an. „Wenn du mich lässt.“
„Oh, ich lasse dich“, flüsterte ich. Und das tat ich. Ich ließ ihn. Und als er in mich eindrang, war ich weder ängstlich noch besorgt. Es hat nicht wehgetan. Es war wie nach Hause zu kommen, und ich konnte nur wieder und wieder seinen Namen sagen: „Christopher, Christopher, Christopher …“
CHARM
Aus der Zeitung erfährt man nicht viel über den Überfall auf den Buchladen, nur dass Claire Kelby und ihr fünfjähriger Sohn dort gewesen sind und dass man Claire mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht hat. Nachdem sie den Artikel gelesen hat, eilt Charm zu Bookends , um sich nach Claire und Joshua zu erkundigen.
Über die Jahre hatte Gus viel Klatsch und Tratsch von seinen Freunden auf der Feuerwache gehört. Sie teilten die Neuigkeiten, die sie über den kleinen Jungen erfuhren, der in der Feuerwache abgelegt worden war, mit ihm, und Gus wiederum erzählte zu Hause alles einer gierig lauschenden Charm. Er war gesund, war von einem netten Paar adoptiert worden, der Mutter gehörte ein Buchladen, der Vater war Zimmermann, sie hatten ihn Jacob oder Jeffrey oder Joshua genannt.
Es gab nur vier Buchläden in der Stadt, und so war es für Charm nicht schwer, denjenigen zu finden, der einer Frau gehörte, deren Mann Zimmermann war. Bookends. Der Name gefiel ihr. Er klang stark, robust, sicher.
Als Charm das erste Mal all ihren Mut zusammennahm, um Bookends zu betreten, war sie achtzehn. Sie nahm an, der Laden sei geschlossen oder schon längst nicht mehr da. Unbemerkt schlüpfte sie hinein und ging in die Ecke mit den Selbsthilfebüchern. Ich will ihn nur ein Mal sehen, sagte sie sich. Sie musste nur einmal sein Gesicht sehen, in seine Augen schauen, dann könnte sie wieder gehen. Ein paar Minuten später kam eine Frau an ihr vorbei. Sie trug einen Stapel Bücher in der Hand, und ihr auf den Fersen folgte noch etwas unbeholfen ein kleiner Junge. Seine blonden Haare hatten die Farbe von reifem Mais. Schnell ging Charm in die Hocke, was es noch schwerer machte, sie zwischen den Stapeln an Büchern zu den Themen „Wie kriege ich einen Mann?“, „Wie behalte ich einen Mann?“ und „Wie lebe ich ohne Mann?“ zu sehen. Wenn man sie entdeckte, so nahm sie an, würde es so aussehen, als hätte sie es sich gemütlich gemacht,um die Auswahl an Büchern durchzusehen, die sie vor sich selbst retten sollten. Die
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