Vermächtnis
ebenfalls verbreitet höher geschätzt werden als Mädchen, kommt es durch einen neuen Mechanismus zu einem Überschuss an männlichen Säuglingen: Die vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung ermöglicht die selektive Abtreibung weiblicher Feten.
Bei den !Kung gilt es als Pflicht der Mutter, zur Zeit der Entbindung die Abwägung für oder gegen den Säuglingsmord vorzunehmen. Die Soziologin Nancy Howell schrieb: »Die Sitte, dass Frauen ihre Kinder allein zur Welt bringen sollten oder können, überträgt der Mutter auch das unhinterfragte Recht, über den Säuglingsmord zu entscheiden. Am Ort der Geburt, in der Regel bevor das Baby einen Namen erhält und mit Sicherheit bevor es zurück ins Dorf gebracht wird, liegt es in der Verantwortung der Mutter, das Kind sorgfältig auf Geburtsfehler zu untersuchen. Ist es fehlgebildet, hat die Mutter die Pflicht, es zu töten. Viele Informanten aus Reihen der !Kung berichteten mir, diese Untersuchung und Entscheidung sei ein regelmäßiger notwendiger Teil des Entbindungsprozesses … Die Tötung von Säuglingen ist in den Augen der !Kung nicht mit Mord gleichzusetzen, denn sie betrachten die Geburt nicht als den Beginn des Lebens eines zun/wa [das heißt eines Menschen]. Das Leben beginnt, wenn das Baby einen Namen erhält und nach der Geburt im Dorf als Mitglied der Gemeinschaft anerkannt wird. Zuvor ist der Säuglingsmord ein Vorrecht und eine Aufgabe der Mutter, die bei Geburtsfehlern und für einen von zwei neugeborenen Zwillingen kulturell vorgeschrieben ist. Überlebende Zwillingspaare gibt es in der gesamten Population nicht.«
Säuglingsmord ist aber in traditionellen Gesellschaften mit Sicherheit nicht allgemein verbreitet; er kommt weniger häufig vor als der Tod von Säuglingen durch »wohlmeinende Vernachlässigung«. (Dieser beschönigende Ausdruck bedeutet, dass das Kind nicht aktiv getötet wird, sondern durch Vernachlässigung stirbt, beispielsweise weil die Mutter es seltener oder gar nicht mehr stillt, in seltenen Fällen auch während sie es reinigt oder wäscht). Allan Holmberg stellte beispielsweise während seines Aufenthalts bei einer Gruppe von Sirino-Indianern in Bolivien fest, dass Säuglingsmord und Abtreibung unbekannt waren. Obwohl 15 Prozent der Kinder bei den Sirino mit Klumpfüßen geboren wurden, überlebte nur jedes fünfte derart fehlgebildete Kind bis zum Erwachsenenalter und konnte eine Familie gründen.
Entwöhnung und Abstände zwischen den Geburten
In den Vereinigten Staaten ging sowohl der Anteil der Säuglinge, die von ihren Müttern überhaupt gestillt wurden, als auch das Alter, in dem die Säuglinge entwöhnt wurden, während großer Teile des 20 . Jahrhunderts zurück. In den 1970 er Jahren beispielsweise wurden nur fünf Prozent der amerikanischen Kinder im Alter von sechs Monaten noch gestillt. Bei Jägern und Sammlern dagegen, die keinen Kontakt zu Bauern und damit auch keinen Zugang zu landwirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln haben, werden Säuglinge bis weit über das Alter von sechs Monaten hinaus gestillt, weil Muttermilch die einzige geeignete Säuglingsnahrung ist, die überhaupt zur Verfügung steht. Zugang zu Kuhmilch, Babynahrung oder Babybrei haben solche Völker nicht. Das Alter bei der Entwöhnung liegt im Durchschnitt von sieben Gruppen von Jägern und Sammlern bei ungefähr drei Jahren; erst in diesem Alter sind die Kinder in der Lage, feste Nahrung ausreichend gut zu kauen und sich in vollem Umfang selbst zu ernähren. Eine gewisse Menge fester Nahrung kommt zwar häufig schon im Alter von sechs Monaten hinzu, von der Muttermilch wird aber ein Kind von Jägern und Sammlern in der Regel erst vollständig entwöhnt, wenn die Mutter mit dem nächsten Kind schwanger ist. Bei den !Kung bekommen einzelne Kinder auch über das Alter von vier Jahren hinaus noch Muttermilch, wenn das nächste Geschwister noch nicht geboren ist. Wie sich in Studien gezeigt hat, überleben Kinder bei den !Kung mit umso größerer Wahrscheinlichkeit bis zum Erwachsenenalter, je später sie entwöhnt wurden. In sesshaften Bauerngesellschaften dagegen gehen das Alter bei der Entwöhnung und die Abstände zwischen den Geburten, die bei nomadisierenden Jägern und Sammlern bei zweieinhalb bis vier Jahren liegen, auf durchschnittlich zwei Jahre zurück, weil diese Menschen über die Milch ihrer Tiere und weiche Getreideprodukte verfügen, mit denen man ein Kleinkind entwöhnen kann. Auch wenn !Kung sich niederlassen und Landwirtschaft
Weitere Kostenlose Bücher