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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Jäger und Sammler stillen ähnlich wie Schimpansen und Altweltaffen ständig. Dieses Prinzip, das wir von unseren Primatenvorfahren geerbt haben und das vermutlich auch während der Jahrmillionen unserer von den Schimpansen getrennten Evolution erhalten geblieben ist, hat sich erst in den wenigen Jahrtausenden seit den Anfängen der Landwirtschaft verändert, als unsere Lebensweise die häufigere Trennung von Mutter und Säugling erforderte. Moderne Mütter haben das Stillverhalten von Kaninchen angenommen, die Physiologie ihrer Milchproduktion ist aber immer noch die der Schimpansen und Kleinaffen.
    Kontakt zwischen Säuglingen und Erwachsenen
    Im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Stillhäufigkeit bei verschiedenen Säugetieren stehen auch Unterschiede im Anteil der Zeit, in der ein Säugling Körperkontakt mit ausgewachsenen Individuen und insbesondere der Mutter hat. Bei Arten, die mit Unterbrechungen stillen, findet dieser Kontakt nur in den kurzen Phasen des Stillens und der übrigen Versorgung statt. Bei kontinuierlich stillenden Arten trägt die Mutter das Junge mit sich herum, während sie Nahrung sucht: Eine Kängurumutter hat das Junge im Beutel, eine Fledermausmutter trägt es sogar während des Fluges auf dem Bauch, Schimpansen- und Altweltaffenweibchen transportieren den Nachwuchs auf dem Rücken.
    In der modernen Industriegesellschaft verhalten wir uns wie Kaninchen oder Antilopen: Die Mutter oder jemand anderes hebt den Säugling hin und wieder hoch und hält ihn fest, um ihn zu füttern oder mit ihm zu spielen, aber das Kind wird nicht ständig herumgetragen; den größten Teil des Tages liegt es in einer Wiege oder im Laufstall; nachts schläft es allein, und zwar meist in einem anderen Zimmer als die Eltern. Während des größten Teils der gesamten Menschheitsgeschichte und bis vor wenigen Jahrtausenden dagegen haben wir es vermutlich so gemacht wie unsere Affenvorfahren. Wie Untersuchungen an heutigen Jägern und Sammlern gezeigt haben, werden Säuglinge dort fast den ganzen Tag über ununterbrochen entweder von der Mutter oder einer anderen Person festgehalten. Wenn die Mutter geht, liegt das Kind in einer Tragevorrichtung, bei den !Kung beispielsweise in einer Schlinge, in Neuguinea in einem Beutel, in den nördlich-gemäßigten Breiten in einem Tragegestell. Insbesondere in milden Klimazonen haben die meisten Jäger und Sammler ständig Hautkontakt mit ihren Säuglingen. In allen genauer untersuchten Gesellschaften von Jägern und Sammlern wie auch von höheren Primaten schlafen Mutter und Säugling in unmittelbarer Nähe zueinander, in der Regel in demselben Bett oder auf derselben Matte. In einer kulturübergreifenden Stichprobe von 90 traditionellen Gesellschaften fand man keine einzige, in der Mutter und Säugling in getrennten Räumen geschlafen hätten: Diese moderne westliche Praxis ist eine Erfindung der neueren Zeit, und sie ist der Grund, warum moderne Eltern im Westen häufig so große Schwierigkeiten haben, ihre Kinder ins Bett zu bringen. Amerikanische Kinderärzte raten heute davon ab, Säuglinge im Bett der Eltern schlafen zu lassen, weil Kinder in Einzelfällen erdrückt wurden oder einen Hitzschlag bekamen; in der gesamten Menschheitsgeschichte jedoch und bis vor wenigen tausend Jahren schliefen praktisch alle Kleinkinder in einem Bett mit der Mutter und in der Regel auch mit dem Vater, ohne dass es viele Berichte über die schlimmen Folgen gegeben hätte, denen die Befürchtungen der Kinderärzte gelten. Dies könnte daran liegen, dass Jäger und Sammler auf dem harten Erdboden oder harten Matten schlafen; in unseren modernen, weichen Betten kommt es wahrscheinlich eher vor, dass ein Elternteil im Schlaf auf das Kind rollt.
    Bei den !Kung beispielsweise haben Säuglinge in ihrem ersten Lebensjahr während 90  Prozent der Zeit unmittelbaren Hautkontakt mit der Mutter oder einer anderen Bezugsperson. Ganz gleich, wohin die Mutter geht, sie trägt das Kind bei sich; Unterbrechungen finden nur statt, wenn der Säugling von der Mutter an eine andere Pflegeperson weitergegeben wird. Ungefähr im Alter von eineinhalb Jahren trennt ein !Kung-Kind sich erstmals häufiger von der Mutter, aber die Initiative für diese Trennungen geht ausschließlich vom Kind selbst aus, das nun mit anderen Kindern spielen will. Die Zeit, in der ein !Kung-Kind Kontakt zu anderen Pflegepersonen als der Mutter hat, ist länger als die
gesamte
Zeit, die ein modernes Kind im Westen überhaupt mit

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