Vermächtnis
anfangs gar nicht bemerken, und selbst wenn sie stolze, berühmte Jäger geworden sind, ist ihr Leben immer noch voller Spaß und Lachen.«
Während sich also die Ausbildung in Kleingesellschaften ganz natürlich aus dem Sozialleben ergibt, erfordern in manchen modernen Gesellschaften selbst die bescheidensten Ansätze des Soziallebens ausdrücklich eine Ausbildung. In manchen Teilen moderner amerikanischer Großstädte zum Beispiel, in denen die Menschen ihre Nachbarn nicht kennen und in denen Autoverkehr, potentielle Kidnapper und fehlende Bürgersteige signalisieren, dass Kinder nicht ungefährdet zum Spielen mit anderen Kindern gehen können, müssen sie in einem Unterricht, der als »Mommy and Me« bezeichnet wird, ausdrücklich lernen, wie man mit anderen Kindern spielt. Die Mutter oder eine andere Bezugsperson bringt das Kind in ein Klassenzimmer, wo ein ausgebildeter Lehrer sowie ein Dutzend andere Kinder mit ihren Müttern zugegen sind. Die Kinder sitzen in einem inneren Kreis, die Mütter und Pflegepersonen in einem äußeren Kreis und erleben so das Kinderspiel; die Kinder lernen, wie man abwechselnd spricht, zuhört und Gegenstände anderen Kindern aushändigt oder von ihnen bekommt. In der modernen amerikanischen Gesellschaft gibt es viele Aspekte, die meinen Freunden aus Neuguinea bizarr erscheinen, aber über nichts sind sie so erstaunt wie darüber, dass amerikanische Kinder besondere Orte, Zeitpunkte und Anweisungen brauchen, um zu lernen, wie man sich trifft und miteinander spielt.
Ihre Kinder und unsere Kinder
Zum Abschluss wollen wir uns einige allgemeine Gedanken über die unterschiedliche Kindererziehungspraxis in Klein- und Staatsgesellschaften machen. Natürlich gibt es heute auch in den verschiedenen Gesellschaften der Industriestaaten große Unterschiede. Ideale und Praxis der Kindererziehung sind in den Vereinigten Staaten, Deutschland, Schweden, Japan oder einem israelischen Kibbuz sehr unterschiedlich. Innerhalb dieser einzelnen Staatsgesellschaften gibt es wiederum Unterschiede zwischen Bauern, armen Stadtbewohnern und der urbanen Mittelschicht. Andere Unterschiede beobachtet man innerhalb einer Staatsgesellschaft von Generation zu Generation: In den Vereinigten Staaten dominiert heute eine ganz andere Kindererziehungspraxis als in den 1930 er Jahren.
Dennoch gibt es zwischen allen diesen Staatsgesellschaften gewisse grundlegende Ähnlichkeiten, und ebenso bestehen einige grundlegende Unterschiede zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Gesellschaften. Staatsregierungen haben ihre eigenen Interessen im Hinblick auf die Kinder ihres Staates, und diese Interessen stimmen nicht unbedingt mit denen der Eltern überein. Eigene Interessen existieren auch in nichtstaatlichen Kleingesellschaften, aber in einer Staatsgesellschaft liegen sie offener zutage; sie werden von einer stärker zentralisierten Führung von oben nach unten durchgesetzt und durch gut definierte Machtvertreter unterstützt. Alle Staaten wollen, dass ihre Kinder als Erwachsene nützliche, gehorsame Bürger, Soldaten und Arbeiter sind. Sie haben in der Regel etwas dagegen, dass ihre zukünftigen Kinder bereits bei der Geburt ums Leben kommen oder dass ihnen gestattet wird, sich an einem Feuer zu verbrennen. Ebenso haben Staaten bestimmte Ansichten über die Ausbildung und das Sexualverhalten ihrer zukünftigen Bürger. Diese gemeinsamen Ziele der Staaten sorgen für eine gewisse Übereinstimmung, was ihren Umgang mit Kindern angeht; das Spektrum der unterschiedlichen Kindererziehungsmethoden ist deshalb in nichtstaatlichen Gesellschaften viel breiter als in Staaten. Auch nichtstaatliche Gesellschaften von Jägern und Sammlern unterliegen teilweise übereinstimmenden Zwängen: In der Kindererziehung gibt es unter ihnen wiederum einige grundlegende Ähnlichkeiten, aber insgesamt sind die Unterschiede größer als zwischen verschiedenen Staaten.
Staaten haben gegenüber den Jägern und Sammlern sowohl militärische und technische Vorteile als auch den Vorteil einer ungeheuer viel größeren Bevölkerung. Während der letzten Jahrtausende konnten die Staaten aufgrund dieser Vorteile Jäger und Sammler unterwerfen: Die Weltkarte ist heute vollständig in Staaten aufgeteilt, und nur wenige Gruppen von Jägern und Sammlern haben überlebt. Aber auch wenn Staaten viel mächtiger sind als Horden von Jägern und Sammlern, ist damit nicht zwangsläufig gesagt, dass sie auch ihre Kinder mit besseren Methoden großziehen. Manche
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