Vermächtnis
Bank bringen und schließlich mit dem Geld im Supermarkt andere Lebensmittel bezahlen. Bei den Hochlandbewohnern in Neuguinea stellt die Schweinehaltung eigentlich eine Art Lebensmittelspeicher dar, denn das verbreitete Grundnahrungsmittel, die Süßkartoffeln, kann man nur wenige Monate aufbewahren; wenn man sie jedoch an Schweine verfüttert, mehrere Jahre wartet und dann die Tiere schlachtet, hat man die Süßkartoffeln letztlich durch Verwandlung in Schweinefleisch aufbewahrt und damit für einen viel längeren Zeitraum als nur ein paar Monate haltbar gemacht.
Erweiterung des Speisezettels
Neben dem Anlegen von Vorräten besteht eine weitere Strategie zum Umgang mit jahreszeitlich bedingter Nahrungsknappheit darin, den Speisezettel zu erweitern und Lebensmittel zu verzehren, die man in Zeiten des Überflusses verschmäht. In Kapitel 6 habe ich bereits ein Beispiel von der Insel Rennell erwähnt, wo die Menschen essbare Wildpflanzen in zwei Kategorien einteilen: Die einen werden normalerweise verzehrt, die anderen nur aus Verzweiflung, nachdem ein Wirbelsturm die Gärten zerstört hat. Gewöhnlich beziehen die Inselbewohner ihre pflanzliche Nahrung allerdings zum größten Teil aus Gärten, und ihre Einteilung der Wildpflanzen ist nicht sehr präzise. Genauer ist die Vorliebe für wilde Pflanzen bei den !Kung unterteilt, die traditionell Jäger und Sammler waren und keine Landwirtschaft betrieben. Sie können mindestens 200 einheimische Wildpflanzenarten benennen und halten davon mindestens 105 für essbar; diese unterteilen sie nach einer Hierarchie der unterschiedlichen Vorliebe, die mindestens sechs Kategorien umfasst. Am beliebtesten sind Pflanzen, die in großer Menge vorhanden und weit verbreitet sind, in allen Monaten des Jahres zur Verfügung stehen, sich leicht sammeln lassen, gut schmecken und als nahrhaft gelten. Ganz oben in dieser Hierarchie steht die Mankettinuss: Sie erfüllt alle genannten Kriterien, liefert den !Kung nahezu die Hälfte ihrer aus Pflanzen aufgenommenen Kalorien und wird an Beliebtheit nur vom Fleisch übertroffen. Weiter unten auf der Präferenzliste stehen seltene Pflanzen, die man nur an bestimmten Stellen und nur in bestimmten Monaten findet, die nicht gut schmecken, schwer verdaulich sind oder als nicht nahrhaft gelten. Wenn die !Kung in ein neues Lager umgezogen sind, sammeln sie zunächst Mankettinüsse und die 13 anderen beliebtesten Pflanzenarten, bis diese in der Umgebung zur Neige gehen. Dann müssen sie sich auf der Präferenzliste weiter nach unten bewegen und mit immer weniger wünschenswerten Lebensmitteln zufriedengeben. In den heißen Monaten September und Oktober, wenn die geringsten Nahrungsmengen zur Verfügung stehen, lassen die !Kung sich sogar herab, faserige, geschmacklose Wurzeln zu sammeln, die zu anderen Jahreszeiten nicht beachtet werden; jetzt aber gräbt man sie aus und isst sie mit Begeisterung. Ungefähr zehn Baumarten scheiden essbare Harze aus, die aber schlecht bewertet werden, angeblich schwer verdaulich sind und nur hin und wieder gesammelt werden, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Ganz unten auf der Skala stehen Lebensmittel, die man nur wenige Male im Jahr isst, darunter eine verbreitete Frucht, von der man glaubt, sie verursache Übelkeit und Halluzinationen, aber auch das Fleisch von Kühen, die nach dem Verzehr giftiger Blätter gestorben sind. Damit nun nicht der Eindruck entsteht, diese Beliebtheitsliste der !Kung für Lebensmittel sei für uns moderne Bürger der Ersten Welt ohne Bedeutung, sollte man daran denken, dass viele Europäer sich während der Lebensmittelknappheit im Zweiten Weltkrieg ähnlicher Methoden bedienten: Britische Freunde erzählten mir zum Beispiel, sie hätten damals Mäuse gegessen, die sie als »Maus in Sahne« zubereiteten.
Weniger als 500 Kilometer östlich von den !Kung leben die Tonga-Bauern von Gwembe mit einer hundertmal höheren Bevölkerungsdichte. Fällt bei ihnen die Ernte aus, führt die hohe Bevölkerungszahl zu einem viel größeren Druck auf die Wildpflanzen der Umgebung als bei den relativ wenigen !Kung. Deshalb müssen die Tonga auf der Beliebtheitsskala noch tiefer nach unten steigen. Sie verzehren dann 21 Pflanzenarten, die auch im Gebiet der !Kung vorkommen, bei diesen aber als ungenießbar gelten. Eine davon ist ein Akazienbaum, dessen giftige Samenschoten in großer Zahl vorkommen. Die !Kung könnten solche Schoten jedes Jahr tonnenweise einsammeln, tun es aber nicht. Die Tonga
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