Vermächtnis
nützlichen Funktion ausgestattet sind, andere aber nicht. Mutationen und Neukombination von Genen sind also die Ursache für biologische Vielfalt, und natürliche sowie sexuelle Selektion sieben dann dieses Ausgangsmaterial nach dem Kriterium der Funktion aus.
Entsprechend gehen die Evolutionspsychologen davon aus, dass Religion ein Nebenprodukt bestimmter Merkmale des menschlichen Gehirns ist, die sich nicht zum Bau von Pyramiden oder zum Trost hinterbliebener Angehöriger entwickelt haben, sondern aus anderen Gründen. Für einen Evolutionsbiologen ist das plausibel und alles andere als verwunderlich. Die Entwicklungsgeschichte ist voller Nebenprodukte und Mutationen, die ursprünglich von der Selektion zum Zweck einer Funktion ausgewählt wurden und sich dann weiterentwickelten, so dass die Selektion ihnen die Erfüllung einer anderen Funktion ermöglichte. Die Kreationisten, die an der Realität der Evolution zweifeln, wiesen beispielsweise auf die Zitteraale hin, die ihre Beutetiere mit einem Schock von 600 Volt lähmen; ihre Argumentation: Ein Aal von 600 Volt konnte nie durch natürliche Selektion aus einem Null-Volt-Aal entstehen, weil die dazu notwendigen Zwischenformen von Niedervolt-Aalen ihre Beute nicht lähmen konnten und daher zu nichts nütze waren. Wie sich aber herausgestellt hat, entwickelten sich die Eigenschaften der 600 -Volt-Aale durch einen Funktionswechsel als Nebenprodukt aus der Wahrnehmung elektrischer Felder und der Erzeugung von Strömen, die man auch bei ganz normalen Fischen findet.
Viele Fische tragen in ihrer Haut Sinnesorgane, die auf elektrische Felder in der Umgebung ansprechen. Diese Felder können entweder physikalische Ursachen haben (beispielsweise entstehen sie durch Meeresströmungen oder bei der Vermischung von Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt), oder sie sind biologischen Ursprungs (und entstehen durch die elektrisch ausgelösten Muskelkontraktionen von Tieren). Fische können solche elektrischen Sinnesorgane zu zweierlei Zwecken einsetzen: einerseits um Beutetiere zu finden, und andererseits um sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden, insbesondere in schlammigem Wasser oder nachts, wenn Augen kaum von Nutzen sind. Die Beute macht sich für den elektrischen Felddetektor der Tiere bemerkbar, weil sie eine viel höhere elektrische Leitfähigkeit besitzt als reines Wasser. Diese Wahrnehmung elektrischer Felder in der Umwelt kann man als passive Elektrodetektion bezeichnen; spezialisierte Organe, die Elektrizität erzeugen, sind dafür nicht erforderlich.
Manche Fische gehen aber noch einen Schritt weiter und erzeugen eigene Felder mit niedriger Spannung; dann können sie Gegenstände nicht nur anhand deren eigener elektrischer Felder wahrnehmen, sondern auch, weil sie das vom Fisch ausgehende elektrische Feld verändern. Spezialisierte Organe zur Erzeugung von elektrischem Strom entstanden in der Evolution unabhängig voneinander in mindestens sechs verschiedenen Abstammungslinien der Fische. Die meisten elektrischen Organe leiten sich von stromerzeugenden Membranen der Muskeln ab, bei einer Fischart entwickelte sich das elektrische Organ aber auch aus den Nerven. Den ersten überzeugenden Nachweis für eine solche aktive Elektrodetektion erbrachte der Zoologe Hans Lissmann, nachdem andere zuvor viele widersprüchliche Spekulationen angestellt hatten. Lissmann konditionierte elektrische Fische mit Futterbelohnungen so, dass sie ein elektrisch leitendes Objekt von einem genauso aussehenden, nicht leitenden Objekt unterschieden, beispielsweise eine leitfähige Metallscheibe von einer nicht leitenden Kunststoff- oder Glasscheibe von identischem Aussehen. Als ich an der Universität Cambridge in einem Labor nicht weit von dem Gebäude arbeitete, in dem Lissmann seine Untersuchungen anstellte, erzählte mir einer seiner Freunde eine Geschichte, an der deutlich wurde, wie empfindlich elektrische Fische bei der Elektrodetektion sind. Lissmann hatte bemerkt, dass ein elektrischer Fisch, den er in seinem Labor hielt, am Nachmittag jedes Wochentages ungefähr um die gleiche Zeit erregt war. Schließlich wurde ihm klar, was der Grund war: Seine technische Assistentin machte sich jeweils um diese Zeit bereit, nach Hause zu gehen. Wenn sie dazu hinter einen Wandschirm trat und sich die Haare kämmte, entstand ein elektrisches Feld, das der Fisch wahrnehmen konnte.
Fische, die nur niedrige Spannungen abgeben, nutzen ihre stromerzeugenden Organe und die Elektrodetektoren in der
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