Vermächtnis
abschütteln, wenn ich es wollte – aber ich will es nicht einmal. In Neuguinea zu sein heißt, die Welt für kurze Zeit in lebhaften Farben zu sehen, während sie im Vergleich dazu an anderen Orten grau ist.
Vorteile der modernen Welt
Da der Rest dieses Kapitels zum größten Teil von jenen Aspekten des traditionellen Lebens handeln wird, von denen wir in der modernen Welt etwas Nützliches lernen können, wollen wir uns zunächst einmal an eine offenkundige Erkenntnis erinnern. Man sollte das traditionelle Leben nicht romantisch betrachten: Die moderne Welt hat gewaltige Vorteile. Es ist nicht so, dass die Bürger der westlich geprägten Gesellschaften in Scharen den Werkzeugen aus Stahl, der Gesundheit, dem materiellen Komfort und dem staatlich verordneten Frieden den Rücken kehren würden, um zu einer idyllischen Lebensweise als Jäger und Sammler zurückzukehren. Der Wandel geht nahezu ausschließlich in die andere Richtung: Jäger, Sammler und Kleinbauern, die ihre traditionelle Lebensweise kennen und gleichzeitig Zeugen des westlich geprägten Lebens werden, wollen in die moderne Welt eintreten. Dafür haben sie überzeugende Gründe, darunter moderne Annehmlichkeiten wie materielle Güter, die das Leben leichter und angenehmer machen; Schulbildung und Arbeitsplätze; gute Gesundheit, wirksame Medikamente, Ärzte und Krankenhäuser; persönliche Sicherheit, weniger Gewalt und weniger Gefahren durch andere Menschen und die Umwelt; eine sichere Lebensmittelversorgung; ein viel längeres Leben; und viel seltener die Erfahrung, den Tod der eigenen Kinder mitzuerleben (bei den traditionellen Fayu beispielsweise starben zwei Drittel der Kinder schon in jungen Jahren). Natürlich gelingt es nicht jedem traditionellen Dorf, das modernisiert wird, und nicht jedem Dorfbewohner, der in eine Großstadt zieht, diese erhofften Vorteile für sich zu verwirklichen. Manche jedoch schaffen es; die meisten Dorfbewohner können zusehen, wie andere sich solcher Vorteile erfreuen, und viele Dorfbewohner streben danach.
Ein Beispiel sind die Frauen der Aka-Pygmäen, die von Bonnie Hewlett befragt wurden. Sie gaben folgende Gründe dafür an, dass sie ihre traditionelle Lebensweise als Jäger und Sammler im Wald aufgegeben hatten und sich in Dörfern als Bauern niedergelassen hatten: materielle Waren wie Salz, Pfeffer, Palmöl, Töpfe und Pfannen, Macheten, Betten und Laternen; gute Kleidung und gute Schuhe; ein gesünderes Leben; die Möglichkeit, die eigenen Kinder in die Schule zu schicken; außerdem sei der Anbau pflanzlicher Lebensmittel auf Feldern einfacher als das Sammeln im Wald; und Tiere mit einem Gewehr zu jagen sei einfacher, ungefährlicher und schneller, als wenn man Netze knüpft und tretende, beißende und um sich schlagende Tiere, die sich in den Netzen verfangen haben, wieder herauszuholen. Ache-Indianer, die von Kim Hill und A. Magdalena Hurtado befragt wurden, nannten folgende Motive dafür, das Leben im Wald aufzugeben und sich in Reservaten niederzulassen: Man bekommt ein Gewehr, ein Radio und neue Kleidung; man selbst und die Kinder bleiben ausreichend ernährt und gesund; man lebt länger; und viele Kinder erreichen das Erwachsenenalter. Zu den westlich geprägten materiellen Gütern, die meine Freunde in Neuguinea besonders schätzen, gehören vor allem Streichhölzer, Äxte aus Stahl, Kleidung, ein weiches Bett und ein Regenschirm. (Um den Wert des Regenschirms zu verstehen, muss man daran denken, dass die Niederschlagsmengen in Neuguinea bis zu 12 000 Millimeter oder mehr betragen.) Neuguineer wissen aber auch nichtmaterielle Vorteile zu schätzen, beispielsweise medizinische Versorgung, Schulbildung für die Kinder und die Beendigung der Stammeskriege. Der Yahi-Indianer Ishi aus dem Norden Kaliforniens, der mit ungefähr 50 Jahren seine Lebensweise als Jäger und Sammler aufgab und die letzten Jahre seines Lebens in San Francisco verbrachte, bewunderte Streichhölzer und Klebstoff anfangs mehr als alle anderen Erfindungen der Europäer, aber mit der Zeit fand er auch Gefallen an Häusern, Möbeln, Toiletten mit Wasserspülung, fließendem Wasser, elektrischem Licht, Gasherden und Eisenbahnzügen. Sabine Kueglers Schwester Judith, die für ein Jahr aus dem Haus ihrer Familie in Neuguinea nach Deutschland zog, staunte über die vielen verschiedenen Schokoriegel-Marken, die man in einem deutschen Supermarkt bekommt.
Diese und andere offenkundige, konkrete Vorteile der westlichen Lebensweise werden
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