Vermächtnis
geprägten Gesellschaften) plötzlich wegen einer NCD tot umfallen: Diese Krankheiten sind vielmehr schon Jahre oder Jahrzehnte, bevor wir an ihnen sterben, wichtige Ursachen für gesundheitlichen Verfall und eine abnehmende Lebensqualität. In traditionellen Gesellschaften dagegen existieren die gleichen NCD s so gut wie nicht. Kann es einen eindeutigeren Beweis dafür geben, dass wir von traditionellen Gesellschaften vieles lernen können, was über Leben und Tod bestimmt? Die Lehre, die sie uns anzubieten haben, lautet aber nicht einfach »lebe auf traditionelle Weise«. Das traditionelle Leben hat viele Aspekte, die wir unter keinen Umständen nachahmen wollen, darunter der Kreislauf der Gewalt, die Gefahr häufiger Hungersnöte und eine kurze Lebenserwartung aufgrund von Infektionskrankheiten. Vielmehr müssen wir herausfinden, welche Bestandteile der traditionellen Lebensweise diejenigen, die sie sich zu eigen machen, vor NCD s schützen. Manche dieser wünschenswerten Aspekte, beispielsweise regelmäßige körperliche Betätigung und eine Verringerung des Zuckerkonsums, sind bereits ohne weiteres zu erkennen. Andere (darunter der optimale Fettanteil in der Ernährung) sind nicht so offensichtlich und werden noch diskutiert.
Bevor die derzeitige NCD -Epidemie sich bessert, wird es noch schlimmer werden. Bei den Pima und den Bewohnern von Nauru hat sie bereits ihren traurigen Höhepunkt erreicht. Besonders besorgniserregend sind heute bevölkerungsreiche Staaten mit einem schnell steigenden Lebensstandard. Kurz vor dem Höhepunkt dürfte die Epidemie in den wohlhabenden arabischen Ölstaaten stehen, ein wenig weiter ist der Höhepunkt noch in Nordafrika entfernt, und in China und Indien hat die Entwicklung bereits eingesetzt, sie wird sich aber noch erheblich verschlimmern. Andere bevölkerungsreiche Staaten, in denen die Epidemie bereits begonnen hat, sind unter anderem Bangladesch, Brasilien, Ägypten, Indonesien, Iran, Mexiko, Pakistan, die Philippinen, Russland, Südafrika und die Türkei. Zu den Ländern mit geringerer Bevölkerung, in denen die Epidemie ebenfalls auf dem Weg ist, gehören alle Staaten Lateinamerikas und Südostasiens. Bei der nicht ganz einer Milliarde Menschen im mittleren und südlichen Afrika steht sie ganz am Anfang. Wenn man über solche Aussichten nachdenkt, ist es leicht, in Depressionen zu verfallen.
Aber wir sind in unserem Kampf gegen die NCD s nicht zwangsläufig die Verlierer. Wir selbst haben unsere neue Lebensweise geschaffen, und deshalb liegt es auch vollkommen in unserer Hand, daran etwas zu ändern. Eine gewisse Hilfestellung bietet dabei die molekularbiologische Forschung, die darauf abzielt, bestimmte Risiken mit einzelnen Genen in Verbindung zu bringen und damit diejenigen unter uns zu identifizieren, für die aufgrund einer genetischen Disposition besondere Gefahren bestehen. Die Gesellschaft als Ganzes braucht jedoch nicht auf solche Forschungsergebnisse, auf die magische Pille oder auf die Erfindung kalorienarmer Kartoffelchips zu warten. Schon heute ist klar, welche Veränderungen viele (allerdings nicht alle) Risiken für die meisten von uns verringern werden: nicht rauchen; regelmäßige körperliche Betätigung; eine Begrenzung der Gesamt-Kalorienaufnahme; ein geringerer Konsum von Alkohol, Salz und salzigen Lebensmitteln, Zucker und gezuckerten Getränken, gesättigten Fetten und Trans-Fettsäuren, verarbeiteten Lebensmitteln, Butter, Sahne und rotem Fleisch; dafür ein verstärkter Verzehr von Ballaststoffen, Obst und Gemüse, Calcium und komplexen Kohlenhydraten. Eine weitere einfache Veränderung besteht darin, langsamer zu essen. Es ist paradox: Je schneller wir die Nahrung hinunterschlingen, desto mehr essen wir am Ende, und desto mehr nehmen wir zu – schnelles Essen lässt nicht genug Zeit für die Ausschüttung der Hormone, die den Appetit hemmen. Dass die Italiener schlank sind, liegt nicht nur an der Zusammensetzung ihrer Ernährung, sondern auch daran, dass sie sich bei den Mahlzeiten viel Zeit für Gespräche lassen. Alle diese Veränderungen könnten Milliarden Menschen auf der ganzen Welt das Schicksal ersparen, das über die Pima und die Bewohner von Nauru bereits hereingebrochen ist.
Dieser Ratschlag ist so banal und altbekannt, dass es fast peinlich erscheint, ihn zu wiederholen. Aber es lohnt sich, noch einmal die Wahrheit zu sagen: Wir wissen schon heute so viel, dass wir mit gutem Grund nicht bedrückt, sondern hoffnungsvoll sein
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