Vermächtnis
sich selbst versorgen, tut es aber nicht. Stattdessen ist jedes Dorf auf ein bestimmtes Produkt spezialisiert, das es an seine Verbündeten liefert, wie beispielsweise Pfeilspitzen, Pfeilschäfte, Körbe, Bogen, Tontöpfe, Baumwollgarn, Hunde, halluzinogene Drogen oder Hängematten. Ähnlich verhält es sich bei den Xingu: Auch hier spezialisieren sich die Dörfer jeweils auf die Produktion und den Export von Bogen, Keramik, Salz, Gürteln aus Muschelschalen oder Speeren. Damit nun nicht der Eindruck entsteht, die meisten Dorfbewohner unter den Yanomamo könnten die groben, schmucklosen Keramikgegenstände ihres Volkes nicht herstellen, betrachten wir einmal, wie sich die Beschaffung von Gefäßen im Yanomamo-Dorf Mömariböwei-teri in jüngster Zeit verändert hat. Anfangs importierte Mömariböwei-teri seine Gefäße aus dem politisch verbündeten Dorf Möwaraöba-teri. Zur Begründung erklärten die Bewohner von Mömariböwei-teri energisch, sie wüssten nicht, wie man Töpfe herstellt, sie hätten zwar früher Töpfe hergestellt, aber schon längst vergessen, wie man es macht, der Ton in ihrer Gegend eigne sich ohnehin nicht für die Herstellung von Keramik, und sie würden alle Töpfe, die sie brauchten, aus Möwaraöba-teri importieren. Dann aber wurde das Bündnis zwischen den beiden Dörfern durch einen Krieg zerstört, so dass Mömariböwei-teri keine Gefäße mehr aus Möwaraöba-teri importieren konnte. Und plötzlich, o Wunder, »erinnerten« sich die Bewohner von Mömariböwei-teri wieder daran, wie sie vor langer Zeit selbst Töpfe hergestellt hatten. Sie »entdeckten«, dass der bisher verschmähte Ton aus ihrer Region sich ausgezeichnet zur Herstellung von Töpfen eignete, und nahmen selbst die Keramikherstellung wieder auf. Demnach ist klar, dass die Bewohner von Mömariböwei-teri zuvor die Töpfe aus Möwaraöba-teri nicht aus Notwendigkeit importiert hatten, sondern aus freien Stücken (nämlich zur Festigung einer politischen Allianz).
Noch eindeutiger betreiben die !Kung den Handel mit Pfeilen aus freien Stücken: Alle !Kung stellen ähnliche Pfeile her, und doch werden sie hin und her gehandelt. Der Anthropologe Richard Lee erkundigte sich bei vier !Kung, wem jeder einzelne der 13 bis 19 Pfeile in ihren Köchern gehörte. Von den vier Männern hatte nur einer (Kopela Maswe) keine Pfeile von anderen; einer (/N!au) besaß elf Pfeile von insgesamt vier anderen Männern und nur zwei eigene; und zwei (/Gaske und N!eishi) hatten überhaupt keine eigenen Pfeile, trugen aber jeweils die Pfeile von sechs anderen Männern mit sich herum.
Welchen Sinn haben solche konventionellen Monopole und der Austausch des einen Pfeils gegen den anderen? Als Bewohner des Westens sind wir es gewohnt, nur Gegenstände durch Handel zu erwerben, mit denen wir uns nicht selbst versorgen können, deshalb erscheint es uns völlig witzlos. Offensichtlich hat der Handel in traditionellen Gesellschaften nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche und politische Funktionen: Man erwirbt Gegenstände nicht nur um ihrer selbst willen, sondern »schafft« auch Handel, um damit gesellschaftliche und politische Ziele zu verfolgen. Vielleicht das wichtigste derartige Ziel ist die Stärkung von Allianzen und Bindungen, auf die man dann bei Bedarf zurückgreifen kann. Bei den Inuit im Nordwesten Alaskas waren Handelspartner verpflichtet, einander zu unterstützen, wenn es notwendig war: Wenn in deinem Bezirk eine Hungersnot ausbricht, hast du das Recht, bei deinem Handelspartner in einem anderen Bezirk zu wohnen. Die Agta-Jäger, die untereinander oder mit philippinischen Bauern »Handel« treiben, sehen nicht Angebot und Nachfrage als Grundlage ihrer Tätigkeit, sondern den Bedarf: Man geht davon aus, dass bei den Partnern zu unterschiedlichen Zeiten Überschüsse oder Knappheit herrschen, die sich auf längere Sicht die Waage halten; deshalb wird nicht streng Buch geführt. Bei den Agta bringen beide Seiten große Opfer, wenn der Partner in der Krise steckt, beispielsweise wegen einer Hochzeit, eines Begräbnisses, eines Taifuns, einer Missernte oder einer fehlgeschlagenen Jagd. Für die Yanomamo, die ständig in Kriege verstrickt sind, haben die Allianzen, die sich entwickeln, weil Nachbarn durch den Handel regelmäßig unter freundschaftlichen Vorzeichen zusammentreffen, für das Überleben eine viel größere Bedeutung als die gehandelten Töpfe oder Hängematten – auch wenn kein Yanomamo offen zugeben würde,
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