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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Wortwechsel und die meisten anderen Gespräche, über die ich hier berichte, wurden nicht auf Englisch geführt, sondern auf Tok Pisin; in Wirklichkeit sagte Peti zu Gideon: »Inap mi kam insaitlongopisbilongyu na yumitok-tok?«)
    Gideon nickte, ging zur Vorderseite seines Büros, öffnete die Tür und forderte Peti auf, allein hereinzukommen und Platz zu nehmen. Für einen Mann, der kurz zuvor seinen Sohn verloren hat und jetzt dem Arbeitgeber des Schuldigen gegenübersteht, legte Peti ein beeindruckendes Verhalten an den Tag: Er befand sich sichtlich noch im Schockzustand, war aber ruhig, respektvoll und geradeheraus. Eine Zeit lang saß Peti schweigend da, dann sagte er zu Gideon: »Wir wissen, dass es ein Unfall war und dass ihr es nicht absichtlich getan habt. Wir wollen keine Schwierigkeiten machen. Wir wollen nur, dass ihr uns bei der Beerdigung helft. Wir bitten euch um ein wenig Geld und Lebensmittel, damit wir unseren Verwandten bei der Zeremonie etwas zu essen geben können.« Daraufhin versicherte Gideon ihn des Mitgefühls seiner Firma und ihrer Mitarbeiter, und er machte eine unbestimmte Zusage. Noch am gleichen Nachmittag ging er in den örtlichen Supermarkt und kaufte die üblichen Lebensmittel: Reis, Dosenfleisch, Zucker, Kaffee. Im Laden traf er zufällig Peti wieder, und auch dieses Mal gab es keine Schwierigkeiten.
    Schon an diesem zweiten Tag, dem Tag nach dem Unfall, sprach Gideon mit seinem leitenden Mitarbeiter Yaghean, einem älteren Neuguineer, der zwar aus einem anderen Distrikt stammte, aber Erfahrung mit den landesüblichen Schadenersatzverhandlungen hatte. Yaghean bot an, die Verhandlungen zu übernehmen. Am nächsten Tag (dem dritten) berief Gideon in seiner Firma eine Mitarbeiterversammlung ein, um zu besprechen, wie es weitergehen sollte. Alle hatten vor allem die Befürchtung, die Großfamilie des toten Jungen (seine entfernteren Verwandten und Clanmitglieder) könnte sich als gewalttätig erweisen, obwohl der Vater versichert hatte, die engere Familie werde keine Schwierigkeiten machen. Durch Petis ruhiges Verhalten bei ihren beiden Begegnungen ermutigt, war Gideon zuerst geneigt, selbst direkt in die Siedlung der Tieflandbewohner zu gehen, Billys Familie aufzusuchen und »sorry zu sagen« (das heißt sich formell zu entschuldigen) und zu versuchen, die Bedrohung durch die Großfamilie zu entschärfen. Aber Yaghean beharrte darauf, Gideon solle das nicht tun: »Gideon, wenn du selbst zu früh dorthin gehst, mache ich mir Sorgen, dass die Großfamilie und die ganze Tieflandbewohnergemeinde noch in erhitzter Stimmung ist. Wir sollten lieber den richtigen Schadenersatzprozess abwickeln. Wir schicken einen Unterhändler, und das werde ich sein. Ich spreche mit dem Vorsteher des Bezirks, zu dem die Siedlung der Tieflandbewohner gehört, und er redet dann mit denen. Er und ich wissen, wie ein Schadenersatzprozess ablaufen soll. Erst wenn wir den Prozess hinter uns haben, kannst du und deine Mitarbeiter mit der Familie eine Sorry-sagen-Zeremonie (»toksori« auf Tok Pisin) abhalten.«
    Yaghean sprach mit dem Vorsteher, und der setzte für den nächsten Tag (den vierten) eine Besprechung an. Teilnehmer waren Yaghean, der Vorsteher, Billys Familie und der größere Clan. Über den Ablauf dieses Gesprächs weiß Gideon kaum etwas; Yaghean berichtete nur, sie hätten lange darüber gesprochen, wie man mit der Angelegenheit umgehen solle, die Familie selbst habe nicht die Absicht, gewalttätig zu werden, aber ein paar Männer in der Gemeinde hätten starkes Mitgefühl mit Billy und seien immer noch aufgewühlt. Yaghean sagte zu Gideon, er solle mehr Lebensmittel für die Schadenersatzzeremonie und die Trauerfeier kaufen; außerdem sei man zu der Übereinkunft gelangt, dass Gideons Firma an die Familie eine Ausgleichszahlung von 1000 Kina (ungefähr 399  Euro) zu leisten habe. (Der Kina ist die nationale Währung von Papua-Neuguinea.)
    Die eigentliche Schadenersatzzeremonie fand am nächsten Tag (dem fünften) statt und hatte einen formellen, genau strukturierten Ablauf. Er begann damit, dass Gideon, Yaghean und die übrigen Büroangestellten mit Ausnahme von Malo im Firmenwagen zur Siedlung der Tieflandbewohner fuhren. Sie parkten den Wagen, gingen durch die Siedlung und betraten den Garten hinter dem Haus von Billys Familie. Traditionelle Trauerzeremonien finden in Neuguinea immer unter einer Art Schirm statt, der die Köpfe der Trauernden bedeckt; in diesem Fall hatte die Familie als

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