Vermählt mit einem Fremden
blieb an der Tür stehen und wartete gelassen ab, den Blick auf ihren Bruder geheftet.
„Miss Lydyard, es ist mir eine Ehre.“ So elegant, wie es sein zerschundener Körper zuließ, verneigte Lucius sich. „Wie ich Sir Wallace schon mitteilte, sind wir nicht miteinander bekannt. Welche Anklagen er auch vorbringt, Ihre Ehre ist makellos rein.“
Mit einer flüchtigen Geste verwarf Sir Wallace das Gesagte. Seine Schwester fixierend, verkündete er genüsslich: „Dein Gast hier in deinem Haus ist Lucius Hallaston, Earl of Venmore. Wusstest du das?“
Ohne ihren Bruder zu beachten, knickste Miss Lydyard gelassen, den Blick niedergeschlagen. „Mylord, ich sehe, Sie haben sich gut erholt.“
Es war ihre Stimme, die Lucius alles klarmachte. Kühl, gedämpft, sorgfältig moduliert und selbstsicher. Erstaunlich unter diesen Umständen. Und dann hob sie den Blick und schaute ihm ins Gesicht. Oh ja, diese Augen waren unverkennbar. Kühl wie ihre Stimme, grau, fast silbern im hellen Morgenlicht. Und ihre Hände erkannte er, die sie vor sich verschränkt hielt, so fest, dass, wie er zu sehen glaubte, die Knöchel weiß hervortraten. Also war sie vielleicht doch nicht so gelassen, wie er glaubte. Zupackende Hände trotz der schlanken Finger, die ein Tau halten oder ein Fass über ein schwankendes Deck bugsieren konnten. Oder die Stirn eines Mannes kühlen und seine Wunden verbinden.
Sehr schnell war Lucius sich sicher: Diese Frau war Captain Harry. Das Wissen um und die Erinnerung an Captain Harrys sehr intime Pflege erzeugten ihm leichtes Unbehagen.
„Also hat Harry Lydyard Sie gepflegt, Mylord? Mir ist unverständlich, wie Sie nichts merken konnten.“ Aufgebracht hob Wallace seine Stimme. „Eine so dumme Ausrede wird Ihnen keiner glauben. Dies hier ist meine Schwester, Miss Harriette Lydyard, die Sie, Mylord, kompromittiert haben!“
Vor Lucius tat sich ein Abgrund auf. Voller Abneigung betrachtete er die Leute in seiner nur geborgten Schlafkammer. Wobei er, wenn auch zögerlich, Miss Lydyard Respekt zollte, denn sie schwieg immer noch zu den Vorwürfen ihres Bruders; nur zwischen ihren Brauen stand eine kleine Falte, und leichte Röte hatte sich in ihre Wangen geschlichen. Sie fürchtete sich weder vor ihrem Bruder noch vor der Situation, obwohl der Mann sie der Unmoral anklagte und ihn, Lucius, lasziver Verführungskünste beschuldigte. Bemerkenswert, wenn man bedachte, in welcher Verfassung er gewesen war. Der Bruder wiederum … man mochte es sich nur einbilden, aber war dessen Interesse nicht erst erwacht, als er den Titel gehört hatte? Wenn ihm auch der Kopf schmerzte, so hatte er seinen Verstand doch noch beisammen. Das hier roch ganz nach einer Falle, die über einem von Ehrbegriffen geleiteten, reichen, hochstehenden Mann zuschnappen sollte, um eine ledige Schwester unter die Haube zu bringen, die weder in der ersten Jugendblüte stand, noch mit blendender Schönheit gesegnet war. Und er, der Earl of Venmore, sollte die Beute sein. Zwar hatte Sir Wallace behauptet, er habe eine Ehe für seine Schwester arrangiert, aber wer zum Teufel glaubte das! Der Mann hatte die Chance gewittert und sich daraufgestürzt!
Lucius schnaubte innerlich ob der Frechheit des Burschen. In diese Falle würde er nicht laufen! Dann jedoch schaute er auf und der Dame in die Augen. Ernst und feierlich war ihr Ausdruck, und wenn er sich nicht sehr täuschte, las er darin eine Bitte. Um was aber? Vielleicht, dass er es für sie nicht noch schlimmer machen sollte? Nun, er würde sein Bestes tun. Das schuldete er ihr.
„Soweit ich mich erinnere, Sir, und ehrlich gesagt erinnere ich mich an kaum etwas, war ich die meiste Zeit bewusstlos. Es hätte eine ganze Bande Schmuggler samt Schmuggelgut und alle Soldaten des Königs mit mir im Raum sein können, und ich hätte es nicht mitbekommen.“
Aber Wallace lächelte nur breit, wobei er seine gelblichen Zähne zeigte. „Würden die Klatschbasen der Londoner Gesellschaft das denn wohl glauben? Dass der Earl of Venmore eine ganze Nacht zusammen mit meiner Schwester im selben Raum, in einem ansonsten leeren Haus, zubrachte, und am Morgen war ihre Ehre nicht einmal angekratzt? Wohl kaum, Mylord! Meine Schwester ist entehrt. Und eine unschuldige junge Dame ihres guten Leumunds zu berauben wird auch Ihrem Ruf, Mylord, nicht guttun. So weit wir auch von London entfernt sind, Gerüchte verbreiten sich schnell wie der Wind. Einer der begehrtesten Junggesellen auf dem Heiratsmarkt – was Sie
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