Vermählt mit einem Fremden
ja sind – verführt unbedenklich ein unschuldiges Mädchen und lässt es dann sitzen! Wird man denn glauben, dass beide Beteiligten sich nichts zuschulden kommen ließen? Dass Sie, Sir, die ganze Zeit über bewusstlos waren?“
„Nein, vielleicht nicht.“
„Ganz bestimmt nicht! Durch Ihr Tun wird meiner Schwester eine Heirat verwehrt bleiben, Sir!“
Zum ersten Mal sah Lucius, wie Harriette Lydyard erbleichte, was nicht einmal beim Anblick seiner blutigen Wunden geschehen war. Er sah, wie ihre Miene in Schrecken erstarrte. Doch sie äußerte sich immer noch nicht. Um ihretwillen als auch um seiner selbst willen stieg eine derartige Wut in ihm auf, dass ihm in seinem immer noch geschwächten Zustand leicht schwindelte. Da saß er ja nett in der Tinte! Ein Unglück kam selten allein! Wenn er den Ausdruck der jungen Frau allerdings richtig interpretierte, war nicht nur er das Opfer, sondern auch sie.
Also würde er die Sache in die Hand nehmen. Er hatte es satt, unendlich satt, ewig ausgetrickst und manipuliert, überlistet und über den Haufen geschossen zu werden! In Frankreich mochte Jean-Jacques Noir ihn übervorteilt haben, doch er wollte verdammt sein, wenn er sich das hier in England von Sir Wallace gefallen ließ. Und vor allem würde er nicht zulassen, dass der Mann seine Schwester derart schikanierte. Das hatte sie nicht verdient.
Hölle und Teufel! Hatte er nicht auch so schon genug am Hals? Aber diese grauen Augen waren plötzlich dunkel wie das Meer im Winter und weit und furchtsam aufgerissen.
Seit Beginn dieser abscheulichen Szene hatte Harriette sich nicht von dem Fleck fortgerührt. Von ganzem Herzen wünschte sie sich, sie hätte noch eine Zeit lang Captain Harry bleiben können. Oder dass der verrottete Boden sich unter ihr auftun und sie verschlingen würde. Das Herz sank ihr bis in ihre abgeschabten Satinschuhe. Sie hatte gehofft, sich nach Whitescar Hall absetzen zu können, ohne dass jemand etwas gemerkt hätte und vor allem ohne ein weiteres Zusammentreffen mit ihrem verwundeten Spion. Und nun stand sie hier, von ihrem Bruder herbeordert, als wäre sie ein Dienstbote. Ganz knapp war es ihr gelungen, die Männerkleidung abzulegen, die Wallaces Zorn noch gesteigert hätte. Warum nur war er so früh aufgetaucht? Unauffällig musterte sie seine wenig ansprechenden Züge und stutzte. Vielleicht war er gar nicht so wütend, wie er tat. Eher sehr zielbewusst. Ihr Halbbruder hatte die Gelegenheit erkannt und packte sie beim Schopfe. Harriette wusste nicht, ob sie angesichts dieser unmöglichen Situation hysterisch lachen oder in Tränen ausbrechen sollte.
Ein Earl! Ihr Spion war ein Earl! Lachhaft! Und noch dazu wurde er beschuldigt, sie entehrt zu haben. Das war barer Unsinn!
Doch es war zwecklos, darüber mit Wallace zu streiten. Wenn er in dieser Stimmung war, hörte er auf nichts und niemanden, also hielt sie besser den Mund, bis ihm keine weiteren albernen Anschuldigungen mehr einfielen und der exquisite Earl unvermeidlich seinen Abschied von Lydyard’s Pride genommen hatte.
Sie wagte einen weiteren Blick auf den Earl.
Trotz aller Widrigkeiten hätte beinahe das Lachen gesiegt. All das, was Wallace so gern gewesen wäre, was er so ohne jeden Erfolg nachzuäffen suchte, stand da vor ihm in Fleisch und Blut. Der Sportsmann, der für seine Künste im Sattel und mit Pistole und Degen berühmt war und bewundert wurde wegen seiner kraftvollen Statur und seines hervorragenden Aussehens, der als modisches Vorbild anerkannt wurde. Da stand Wallaces verkörperter Ehrgeiz, der Inbegriff seiner Träume.
Und ihrer Träume.
Gewaschen, rasiert, sein Haar glänzend und modisch zerzaust, machte der Earl eine fantastische Figur. Er war größer, als sie gedacht hatte, und seine Schultern dehnten sich beeindruckend breit unter der scheußlichen Hausjacke. Und wusste sie nicht aus erster Hand, wie seine Muskeln unter seiner Haut spielten, hatte sie nicht seinen straffen Bauch und die athletischen Schenkel bewundert? Hatte seine glatte Haut unter ihren Händen gespürt, als sie seine Wunden wusch. Bei der Erinnerung daran spürte Harriette, wie ihr heiß wurde und ihr die Röte in die Wangen stieg.
Wie erniedrigend, den arroganten Ausdruck zu sehen, mit dem er sie anschaute, als ob sie völlig unbedeutend für ihn wäre. Aber nun, war sie das nicht auch? Wenn der Earl of Venmore ein wenig Intelligenz besaß, würde er bald genug Wallaces schändliches Vorhaben, ihr einen Gatten zu verschaffen,
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