Vermählt mit einem Fremden
Früher ein eigensinniges, ungebärdiges Kind, genoss er es heute noch, die Inhaber der Amtsgewalten zu übertölpeln. Er war der Sohn ihrer Tante Dorcas väterlicherseits und eines nicht besonders tüchtigen kleinen Landadeligen aus der Nachbarschaft. Sein Vater hatte nie auch nur geahnt, dass sein Sohn sich mit den Freihändlern einließ, und hätte es ihm strikt untersagt. Und auch Harriette erfuhr es erst, als er sie zu dem ersten Schmuggeltörn mitnahm. Dabei lernte sie die zu Kopf steigende Erregung des Unternehmens kennen, die sich als einziges Mittel gegen ihr zermürbendes, niederdrückendes Leben heuchlerischer Ehrbarkeit entpuppte, das ihr ihre Schwägerin auferlegte. Wenn sie Entdeckung fürchten mussten, sprang wie selbstverständlich Alexander ein, half ihr aus der Klemme und verteidigte sie gegen Wallaces Vorwürfe. Und so verbrachte Harriette, solange Alexanders Mutter noch lebte, viele Nächte angeblich auf Ellerdine Manor, wenn sie in Wirklichkeit ihre Talente als Freihändler vervollkommnete.
Ihr Cousin war ein attraktiver Mann, gut gebaut, athletisch, mit blitzenden blauen Augen und dunklem Haar, und so wäre es nur verständlich gewesen, wenn Harriette ihn zum Gatten begehrt hätte, nur hegte sie leider keinerlei zarte Empfindungen für ihn. Warum er sie nicht anzog, wusste sie nicht; er war eben einfach ihr Cousin, nicht mehr.
Nun stand er vor ihr und sagte streng: „Lass das bloß, Harry!“
„Aber Augusta sagt, ich muss brav sein, wenigstens bis zur …“
„Ich meine nicht, dass du im Haus bleibst! Ich meine, du sollst Venmore nicht heiraten!“ Er sprach schärfer als sonst.
„Ach so.“ Sie lachte leise. „Warum nicht? Und wieso weißt du davon? Es sollte doch alles bis zur Trauung geheim gehalten werden! Falls der Earl doch nicht wiederauftaucht.“
„Die Dienerschaft! Allerdings hätte ich erwartet, dass du es mir sagst. Wie kannst du es auch nur in Erwägung ziehen? Dieser Unsinn wegen deiner befleckten Ehre! Typisch Wallace! Du hättest dich nicht drängen lassen sollen! Hör, Harry, sag Wallace, du hättest es dir anders überlegt!“
„Unmöglich.“
„Warum?“
„Wallace sagt, ich brauche einen Gemahl.“
„Dann sag ihm, du wirst mich heiraten!“
Einen Augenblick war Harriette sprachlos. Ihr Cousin musste scherzen – obwohl er sonst nicht zu solch plumpen Scherzen neigte. Nie hatte er auch nur eine Andeutung gemacht, dass er sie zur Ehefrau wünschte. So leichthin es ihr möglich war, sagte sie: „Nein, lieber Alex, denn du hast nie um mich angehalten. Musst du auch nicht. Weißt du, du brauchst mich nicht zu retten.“ Dankbar drückte sie ihm die Hand. „Ich habe mich schon damit abgefunden. Wer weiß, vielleicht gefällt es mir ja sogar, und ich finde Geschmack am gesellschaftlichen Leben.“
„Aber jetzt halte ich um dich an. Harriette, heirate mich! Ich kann dir ein schönes Leben bieten und jede Bequemlichkeit, die du dir wünschen magst, wenn auch nicht Venmores Luxus. Wir können auf Lydyard’s Pride leben. Wolltest du das nicht immer?“
„Aber du liebst mich nicht.“ Sie versuchte, ihm unauffällig ihre Hand zu entziehen, die er in seinem Drängen unangenehm fest umfangen hatte.
„Er liebt dich doch auch nicht.“ Alexander ließ von ihrer Hand ab und durchquerte ungeduldig den Raum. „Aber zumindest kenne ich dich gut, und du kennst mich. Du weißt, ich würde dich nie schlagen oder vernachlässigen oder dir Grund zur Eifersucht geben. Außerdem, warum denkst du, dass ich dich nicht liebe?“
„Weil du bis heute nie ein Wort gesagt hast. Übrigens wird Venmore vermutlich das alles auch nie tun“, entgegnete sie, unsicher, ob die boshafte Äußerung ihres Cousins sie ärgern oder nur amüsieren sollte. „Alex, ich kann dich nicht heiraten. Ich habe mich dem Earl versprochen. Sei mir dankbar, dass ich Nein sage, denn irgendwann wirst du ein Mädchen finden, das dein Herz fesselt.“
Alexander ging zu ihr und griff erneut nach ihrer Hand. „Willst du Liebesschwüre hören? Auch das kann ich. Ich hatte immer eine Neigung zu dir, Harry. Wir werden gut miteinander zurechtkommen. Du kannst das Leben führen, das du möchtest, fern von Wallace und Whitescar Hall.“
„Du bist sehr lieb, und du meinst es gut, aber …“
„Willst du sein Geld? Seinen Titel?“ Grimmig runzelte er die Stirn. „Nie hätte ich geglaubt, dass du dich eher an den binden willst als an mich, und nur eines Titels wegen.“
Nie hatte Harriette ihn so unduldsam
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