Vermaehlung um Mitternacht
Himmel, warum hatte er das jetzt gesagt? Sie verfügte doch ohnehin schon über das halbe Geld, da wäre es doch nicht zu viel verlangt, dass sie ihre Rechnungen auch selbst beglich. Doch als er so ihr Gesicht betrachtete, umrahmt von einem zerschlissenen und unvorteilhaften Hut mit verblichenen Bändern, überkam ihn plötzlich der Wunsch, ihr etwas zu schenken, etwas Schöneres, Besseres. „Verdammt, Julia. Ich bezahle deine Kleider und alles, was ich will.“
„Ich kann nicht erlauben ..."
„Außerdem“, fügte er hinzu, indem er wieder ihre Hand ergriff und sie bei sich einhängte, „bleibt dir dann mehr Geld für deine Wohlfahrtsarbeit. “
Ihre Augen wurden vor Misstrauen schmal. „Du erwähntest, wir hätten mehrere Angelegenheiten zu erledigen. Wohin gehen wir hinterher?“
„Zur Putzmacherin und zum Juwelier.“
Sie starrte ihn an. „Schmuck halte ich nicht für notwendig. Meine Mutter hat mir ihre Granate gegeben. Das sollte genügen.“
„Wenn du mit etwas so Schäbigem wie Granaten erscheinst, werden mich die Leute für eine Geizhals oder Schlimmeres halten. Dir bleibt gar nichts anderes übrig.“
„Das ist Geldverschwendung“, erklärte sie rundheraus.
Finster starrte er sie an. Musste sie denn dauernd Widerstand leisten? „Zum Donnerwetter! Ich kaufe dir Schmuck, und du wirst ihn tragen.“
Julia reagierte auf den Ausbruch mit Schweigen und einem ernsten Blick. Alec fixierte sie streng, doch sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Nach einer Weile seufzte sie, doch um ihre Mundwinkel spielte ein Lächeln. „Du bist ganz schön störrisch, Alec MacLean.“
„So sagt man.“
„Also gut. Ich nehme deine Geschenke an. Doch sobald der Mummenschanz vorüber ist, verkaufen wir alles, was wir heute erstehen.“
Ihm blieb die Luft weg. „Wir verkaufen es?“
„Und den Erlös spenden wir der Bereinigung für Frauen in Not‘.“ Sie tätschelte ihm den Arm. „Auf diese Weise kannst du sicher sein, dass dein Geld einer wirklich hervorragenden Sache zugute kommt.“ Nachdem nun alles abgemacht war, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln und betrat Madame Moulins Modesalon.
Alec guckte ihr nach und fragte sich, ob er noch eine weitere Frau kannte, die sein Angebot ausgeschlagen hätte. Gewiss gab es in seinem Bekanntenkreis keine, die ihre Besitztümer zu Nutz und Frommen der Wohlfahrt verkauft hätte.
Seufzend nahm er den Hut ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Allmählich dämmerte ihm die Erkenntnis, dass die Ehe mit Julia eine einzigartige Erfahrung war. Bei Therese wusste man immer, wie sie reagieren würde. Im Gegensatz dazu wäre das Leben mit Julia ein Abenteuer. Leider ging ihm aber erst jetzt auf, wie verteufelt unbehaglich sich manche Abenteuer gestalten konnten.
6. KAPITEL
„Ich sagte doch, dass ich keinen Besuch wünsche“, fauchte Therese, als die Tür sich öffnete. Zum Teufel mit dem neuen Lakaien. Er war der siebte in ebenso vielen Wochen und genauso schlecht ausgebildet wie die anderen.
„Oh, mich wirst du sicher empfangen wollen“, ertönte eine kultivierte männliche Stimme.
„Nick!“ rief sie aus und erhob sich vom Sofa. „Eben wollte ich dich zu mir bitten. Es ist etwas passiert.“
Er schloss die Tür und ging mit lässiger Eleganz auf sie zu. Wie immer war sie schier überwältigt von seiner strahlenden Attraktivität. Während Alec den dunklen Reiz der Bridgetons geerbt hatte, ähnelte Nick mit seinen blonden Haaren und dem hellen Teint seiner Mutter, einer berüchtigten französischen Schönheit, die sich in einem Anfall von Wut angeblich selbst umgebracht hatte.
Therese hatte munkeln hören, dass Wahnsinn und Verworfenheit der gesamten Familie schon seit Urzeiten im Blut lagen. Wenn sie sich Nick so anschaute, mochte sie es beinahe glauben. Jemand, der so schön war, musste doch eine Spur Wahnsinn in sich tragen.
„Du siehst gar nicht gut aus“, erklärte Nick ruhig, während er seinen Hut auf einem Tischchen ablegte. „Vielleicht solltest du dich hinlegen.“
Sie errötete ob des spöttischen Tons. „Ich möchte mich nicht hinlegen. Nick, wir haben das Vermögen verloren.“
Er zupfte nur ein Fädchen von seinem Armel.
„Hast du gehört?“ fragte sie scharf. „Wir haben das Vermögen verloren.“
Nach einer wohl berechneten Kunstpause blickte er auf. Seine schönen blauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern hatten mehr als einmal Thereses Neid erregt.
„Ich habe es bereits beim ersten Mal vernommen, meine Liebe“,
Weitere Kostenlose Bücher