Vermaehlung um Mitternacht
legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wenn irgendjemand die Vereinigung voranbringt, dann doch du, Julia.“
Die ruhige Zuversicht in seiner Stimme trieb ihr die Tränen in die Augen. Am liebsten hätte sie sich ihm in die Arme geworfen. Sie räusperte sich. „Wo hast du denn Buchführung gelernt?“
Nach kurzem Zögern zog er die Hand weg. „Großvater wollte, dass ich mir ein paar nützliche Fähigkeiten aneigne. Er meinte, jeder, der seine Bücher einem anderen anvertraue, verdiene es, betrogen zu werden.“
„Klingt nach meinem Vater. Er hat Mutter dauernd gesagt, sie soll doch nicht jedem trauen, der durch die Tür kommt. Sie hat immer nur gelacht und geantwortet, Jesus habe nicht unter den Frömmlern gelebt, da bräuchte er es auch nicht.“
Ihr Lächeln erlosch. Manchmal vermisste sie ihre Eltern mehr, als sie es ertragen konnte. Sie nahm die Brille ab und wischte mit dem Handrücken eine Träne weg.
„Julia, was ist denn?“
Sie schniefte und setzte sich die Brille wieder auf. „Ich hab nur an das Durcheinander hier gedacht. “
„Deswegen brauchst du aber doch nicht zu weinen“, bemerkte er trocken.
„Doch. Ich hasse es, wenn etwas liegen bleibt.“
Alec reichte ihr sein Taschentuch. „Möchtest du, dass ich mir die Buchführung mal vornehme? Ich bin nicht sicher, ob ich dir helfen kann, aber ich will es gern versuchen. Inzwischen könntest du dich umziehen gehen.“
Julia guckte ihn über das Taschentuch hinweg an. „Kannst du es denn in Ordnung bringen?“
Er grinste schief. „Ja, wenn du die Originale der Rechnungen noch hast.“
„Ich kann sie gleich morgen beim Pfarrer holen.“ Sie schaute auf die verschmierten Zahlen. „Bis Freitag müssen wir aber fertig sein, du musst dich also beeilen.“
„Ja, Madam“, erwiderte er ergeben, doch in seinen Augen blitzte es belustigt.
Sie ignorierte alles bis auf sein Angebot, ihr zu helfen, und nickte. „Wunderbar.“
Alec lächelte, zog einen Stuhl an den Tisch und setzte sich viel dichter neben sie, als notwendig war. „Lass mal sehen, wie schlimm es ist.“ Langsam blätterte er das Buch durch, hielt ab und zu kopfschüttelnd inne und meinte: „Ich weiß nicht, wer von euch schlimmer ist, du oder der Pfarrer.“
„Wahrscheinlich ich. Ich hatte Probleme mit der Feder.“
Alec, der sich bereits ganz auf die Zahlen konzentrierte, antwortete nicht. Schweigen breitete sich aus, als er Zahlenkolonnen zu addieren begann. Julia bewunderte sein markantes Profil, die langen Wimpern und das kräftige Kinn.
Sie sollte sich jetzt wirklich umziehen. Die Dowager Duchess of Roth plante einen Wohltätigkeitsball und wollte sich mit ihr beraten, doch den restlichen Abend würden oberflächliche Gespräche füllen, die für sie keinen Reiz hatten. Viel lieber wäre sie zu Hause geblieben, mit Alec in der Bibliothek, und hätte ihm zugesehen, wie er die Buchführung in Ordnung brachte. Dieses eine Mal hatte sie den Eindruck, eine richtige Ehe zu führen.
Julia stützte die Ellbogen auf den Tisch. Vielleicht konnte sie die Situation nutzen. Sie wartete, bis er mit einer Zahlenreihe fertig war, und sagte dann: „Ich hatte heute einen besonders ereignisreichen Tag.“
Er blätterte um. „Ach ja?“
„Ja.“ Sie schob das Tintenfass und einen silbernen Briefbeschwerer auf dem Tisch herum. „Ich habe ein Hausmädchen eingestellt, zu Mrs. Winstons Unterstützung.“
Alec schaute auf, eine Spur Unruhe im Blick. „Sie ist aber nicht irgendwie unpassend?“
„Himmel, nein, wie kommst du denn darauf?“
Er wirkte nicht sonderlich überzeugt. „Kommt sie von der Vereinigung?“
Das verdross sie, doch sie ließ es ihm durchgehen. „Nein. Soweit ich weiß, war sie noch nicht einmal in Whitechapel.“
„Gut.“ Er wandte sich wieder dem Rechnungsbuch zu. „Einen zweiten Muck können wir nämlich nicht gebrauchen. Zum Glück haben die meisten Leute die Sache mit dem Kaminkehrer schon wieder vergessen.“
Julia griff wieder zu Tintenfass und Briefbeschwerer, nahm noch die Büchse mit Streusand dazu und arrangierte die drei Objekte im Dreieck. „Muck ist ein hervorragender Page. Er hat hart gearbeitet.“
Alec starrte sie streng an, mit einem Blick, der sie lebhaft an das Porträt seines Großvaters erinnerte, das im Morgenzimmer hing. „Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie viele Möbel er bereits auf dem Gewissen hat.“
Jetzt war eindeutig nicht der geeignete Zeitpunkt, um den zerdrückten Tafelaufsatz zu erwähnen, der, wie Mrs.
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