Vermiss mein nicht
Wichtiges zu erzählen?«
»Nein, nein, es brennt nirgends«, antwortete er und sah sich um, vermied es aber, Alan anzuschauen, weil er Angst hatte, ihm würde die Hand ausrutschen. Wenn er die Sache richtig angehen wollte, musste er sich entspannen. Sein Bein hörte zu zucken auf, er beugte sich über sein Pint und fuhr fort: »Letzte Woche hab ich so intensiv nach Donal gesucht, dass alles zurückgekommen ist, verstehst du?«
Auch Alan starrte in sein Glas und seufzte. »Ja, das kenne ich genau. Ich denke jeden Tag darüber nach.«
»Worüber?«
Alan blickte auf. »Wie meinst du das?«
»Ich meine, was genau geht dir dann durch den Kopf?«, fragte Jack und gab sich alle Mühe, sich nicht anzuhören wie bei einem Verhör.
»Ich weiß nicht, was du damit sagen willst, aber ich denke einfach über die ganze Geschichte nach«, entgegnete Alan stirnrunzelnd und zuckte mit den Schultern.
»Hmm.
Ich
muss immer daran denken, wie sehr ich mir wünsche, dass ich in der Nacht bei ihm gewesen wäre, dass ich Donal besser gekannt hätte, weil ich dann vielleicht …« Er unterbrach sich und hielt resigniert die Hände in die Höhe. »Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Vielleicht wüsste ich dann, wo ich noch suchen könnte, vielleicht wüsste ich dann, wo und bei wem er sich verkrochen hat, wenn er mal Geborgenheit und Ruhe brauchte. Lauter solche Dinge, weißt du. Vielleicht ist er vor jemandem weggelaufen, vor irgendwelchen Leuten, mit denen er sich zu weit eingelassen hat. Wir haben uns fast nie über private Dinge unterhalten, und jeden Tag grüble ich darüber nach, ob ich ihn finden würde, wenn ich ein besserer Bruder gewesen wäre. Vielleicht würde er dann jetzt neben uns sitzen und ein Pint mit uns trinken.«
Unwillkürlich sahen die beiden Männer zu dem leeren Hocker neben ihnen.
»So was solltest du nicht denken, Jack, du warst ein guter Bru- …«
»Nicht«, fiel Jack ihm mit lauter Stimme ins Wort.
»Was nicht?«, hakte Alan verdutzt nach.
Jack sah ihm in die Augen. »Lüg mich bitte nicht an.«
Angst und Unsicherheit erschienen auf Alans Gesicht, er blickte sich nervös im Zimmer um, und Jack wusste sofort, dass seine Intuition richtig gewesen war. »Du musst mir nicht sagen, dass ich ein guter Bruder war, weil ich weiß, dass das nicht stimmt«, fuhr er fort. »Lüg mich bitte nicht an, nur damit ich mich besser fühle.«
Die Antwort schien Alan zu erleichtern. »Okay, du warst ein beschissener Bruder«, grinste er, und sie lachten beide.
»Obwohl ich mir selbst bittere Vorwürfe gemacht habe, dass ich in dieser Nacht nicht bei ihm war, weiß ich andererseits, dass wahrscheinlich das Gleiche passiert wäre. Schließlich hast du ja auf ihn aufgepasst, wie immer.«
Traurig lächelte Alan in sein Pint.
»Als wir das letzte Mal miteinander geredet haben, hast du dir Vorwürfe gemacht, weil du damals nicht mit Donal weggegangen bist«, sagte Jack, nahm seinen durchnässten Bierdeckel in die Hand und begann langsam die äußere Schicht abzuknibbeln. »Ich weiß, wie es ist, wenn man sich Vorwürfe macht, das ist alles andere als angenehm. Ich hab ein paar Leute besucht, um meine Gedanken wieder ein bisschen klarzukriegen.« Er kratzte sich verlegen am Kopf. »Und die haben mir alle versichert, dass es ganz normal ist, dass man in so einer Situation die Schuld bei sich selbst sucht. Ich dachte, es ist wichtig, dir das auch zu sagen. Bei einem Pint.«
»Danke«, meinte Alan leise. »Das weiß ich sehr zu schätzen.«
»Tja … wenigstens konntest du noch mit ihm reden, ehe er verschwunden ist, richtig?«
Verwundert sah Alan ihn an. Worauf wollte er hinaus? Wenigstens hörte er sich inzwischen wieder völlig entspannt an.
»Da hattest du echt Glück«, fuhr Jack fort. »Die andern Jungs haben ihn ja nicht mal weggehen sehen.«
»Ich auch nicht«, antwortete Alan, und jetzt wurde er doch wieder nervös.
»Doch, doch«, verbesserte Jack ihn ganz beiläufig. »Das hast du mir jedenfalls letzte Woche erzählt.« Er nahm noch einen Schluck Guinness und sah sich angelegentlich um. »Ziemlich viel los hier, was? Hätte ich gar nicht erwartet, so früh am Abend.« Dann warf er einen Blick auf seine Uhr. Gerade mal sechs. Ihm kam es vor, als wären seit seinem Besuch bei Sandys Mutter mehrere Tage vergangen, nicht nur ein paar Stunden. »Letzte Woche hast du mir gesagt, du wünschst dir, dass du mit ihm gegangen wärst und dass du gedacht hast, es ist okay, wenn er sich da unten ein Taxi nimmt.«
Alan
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