Vermiss mein nicht
sah ihn unbehaglich an. »Ich hab doch nicht …«
»O doch, Mann«, unterbrach Jack ihn wieder und lachte. »Ich verliere vielleicht allmählich den Verstand, aber daran erinnere ich mich noch ganz genau. Auch weil ich so froh darüber war.«
»Ja?«
»Ja«, nickte Jack. »Weil es heißt, dass er nicht einfach so wegspaziert ist, sondern wenigstens dir Bescheid gesagt hat. Und ich hab auf einmal auch besser verstanden, warum man ihn da unten noch gesehen hat. Die anderen Jungs haben nicht mal gemerkt, wie Donal gegangen ist. Die machen sich Vorwürfe, weil sie nichts mitgekriegt haben, das hast du wenigstens nicht nötig.«
Inzwischen konnte Alan kaum noch stillsitzen. »Ja, vermutlich hast du recht«, räumte er ein. Dann zupfte er hektisch ein Päckchen Tabak aus seiner Hemdentasche. »Ich geh mal raus, eine rauchen. Bin gleich zurück.«
»Warte, ich komme mit«, meinte Jack ganz locker. »Lass mich nur schnell noch mein Bier austrin- ken.«
»Du rauchst doch gar nicht.«
»Ich hab wieder angefangen«, log er. Er wollte um jeden Preis verhindern, dass Alan jetzt verschwand, denn so eine Chance würde sich wahrscheinlich nicht mehr ergeben. »Warum ist heute Abend eigentlich so viel los?«, fragte er zur Ablenkung noch einmal mit einem Blick in die Runde.
Tatsächlich entspannte sich Alan etwas. »Keine Ahnung.« Er holte Zigarettenpapier heraus und begann Tabak daraufzustreuen. »Vermutlich weil heute Samstag ist.«
»Sollen wir uns heute am Harvey’s Quay ein Taxi nehmen?«, fragte Jack. »Ich hab mein Auto daheimgelassen.«
»Wieso grade am Harvey’s Quay?«
»Da wollte Donal doch auch hin, um sein Taxi zu kriegen, oder nicht?«
Alan schluckte und zog hörbar die Nase hoch, antwortete aber nicht. Langsam rollte er die Zigarette zwischen den Fingern, und Jack sah, dass er angestrengt nachdachte.
»Jetzt würdest du da wahrscheinlich keinen mehr hinschicken«, sagte Jack ein bisschen zu ärgerlich.
Sofort hörte Alan auf mit der Zigarette zu spielen und sah auf. »Was redest du da eigentlich, Jack?«
»Mir geht da einiges im Kopf herum«, antwortete er, kratzte sich mit dem Daumen an der Stirn und merkte plötzlich, dass seine Finger wieder vor Wut zitterten. Auch Alan bemerkte es, und er kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Ich hab den Kontakt zu der Frau verloren, die mir bei der Suche nach Donal geholfen hat«, erklärte Jack und hörte, dass auch seine Stimme zitterte, aber er konnte nichts dagegen machen. »Das hat mich ganz schön mitgenommen. Aber was mich noch viel mehr umtreibt«, fuhr er mit zusammengebissenen Zähnen fort, »das ist die Tatsache, dass du der Polizei und meiner Familie und überhaupt allen, die bereit waren, dir zuzuhören, gesagt hast, du hättest nicht gesehen, wie Donal weggegangen ist. Dann hast du mir letzte Woche plötzlich erzählt, dass du es sehr wohl mitgekriegt hast, ja, dass du sogar mit ihm gesprochen und ihm gesagt hast, wo er ein Taxi kriegt.«
Während Jack sprach, wurden Alans Augen immer größer, er bewegte nervös die Hände, rutschte auf dem Sitz herum, und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
»Das ergibt alles keinen Sinn, Alan. Vielleicht ist es ja keine große Sache, aber kannst du mir erklären, warum du mich ein ganzes Jahr lang angelogen und mir nicht erzählt hast, dass du meinem Bruder – deinem besten Freund! – gesagt hast, er soll sich ausgerechnet an der Stelle ein Taxi nehmen, wo er dann verschwunden ist?« Mit der Wut steigerte sich auch die Lautstärke seiner Stimme.
Inzwischen zitterte Alan am ganzen Leib. »Ich hab nichts damit zu tun.«
»Womit?«
»Damit, dass Donal verschwunden ist. Damit hab ich nichts zu tun.« Er wollte aufstehen, aber Jack packte ihn so unsanft an den Schultern, dass der Tabak aus dem Päckchen auf den Teppich spritzte, und drückte ihn auf den Sitz zurück.
»Wer denn dann?«
»Ich weiß es nicht.«
Jack grub den Finger in Alans Schulterblatt. Nur Haut und Knochen.
»Herrgott, müssen wir das denn unbedingt hier besprechen?«, keuchte Alan mit schmerzverzerrtem Gesicht, während er sich erfolglos aus Jacks Griff zu lösen versuchte.
»Was sollen wir nicht hier besprechen? Möchtest du woandershin? Vielleicht zur Polizei?«
»Ich hab nichts getan«, zischte Alan. »Das schwöre ich!«
»Warum hast du dann gelogen?«
»Ich hab nicht gelogen«, versicherte er mit weit aufgerissenen Augen, denen man ansah, dass er auch jetzt nicht die Wahrheit sagte. »Aber weil ich doch nicht gerade
Weitere Kostenlose Bücher