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Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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Viertel vor vier, als ich entschlossen meine Decke von mir warf. Im Haus war es totenstill; ich öffnete Barbara Langleys Reisetasche und begann in ihren Horrorklamotten zu wühlen. Schließlich entschied ich mich für ein schwarzweißes Top im Matrosenlook, eine schwarze Röhrenjeans und flache schwarze Pumps. Jetzt brauchte ich nur noch eine ordentliche Ladung Armreifen, überdimensionale Ohrringe, zurückgekämmte Haare, und schon konnte ich den Time Warp tanzen. Na ja, eigentlich war ich ja schon mittendrin in der Rocky Horror Picture Show.
    Joseph und Helena schienen so sicher zu sein, dass meine Uhr nicht verloren war, weil hier ja angeblich nichts wegkommen konnte, aber ich musste das überprüfen. Auf Zehenspitzen, um die Familie nicht zu wecken, schlich ich aus dem Haus. Die Luft war mild, und ich hatte das Gefühl, durch ein Spielzeugdorf in den Schweizer Alpen zu spazieren – kleine hölzerne Chalets mit Blumenkästen und Kerzen in den Fenstern, um verirrten Wanderern den Weg zu weisen. Alles war still, nur gelegentlich hörte man im Wald die Zweige rascheln, wahrscheinlich, weil gerade wieder ein Neuankömmling eingetroffen war. Menschen, die wahrscheinlich gerade auf dem Weg zum Einkaufen waren oder aus dem Pub heimkamen und sich nun unversehens hier wiederfanden. Aber ich fühlte mich sicher, beschützt von freundlichen Menschen, die das Beste aus ihrer Lage machten und weiterlebten, so gut es eben ging.
    Gemächlich schlenderte ich aus dem Dorf hinaus und folgte dann der staubigen Straße, die durch die Felder führte. In der Ferne stieg schon die Sonne über die Bäume, wie eine riesige Orange, die ihren leuchtend gelben Saft über Dörfer, Bäume, Berge und Felder auspresste, flüssiges Licht, das die Wege in glitzernde Bäche verwandelte.
    Ein Stück vor mir entdeckte ich mitten auf der Straße eine gebückte Gestalt. Als sie sich aufrichtete, erkannte ich Josephs schwarze Silhouette vor der aufgehenden Sonne, die jetzt auf der Straße zu liegen schien. Wenn diese Riesenorange sich in Bewegung setzte, würde sie uns glatt überrollen.
    Gerade wollte ich auf Joseph zugehen, da ließ er sich auf Hände und Knie nieder und fing an, auf dem Boden herumzutasten. Schnell sprang ich in den Wald und versteckte mich hinter einem Baum, um ihn ungesehen beobachten zu können. Er suchte meine Uhr, das war offensichtlich.
    Durch die Bäume näherte sich der Schein einer Taschenlampe. Ich duckte mich. Was hatte das zu bedeuten? Auch Joseph hielt inne und sah sich um. Als das Licht wieder verschwand, setzte er seine Suche fort. Was er wohl tun würde, wenn er die Uhr tatsächlich fand? Aber er hatte keinen Erfolg, und nach einer Stunde äußerst engagierten Suchens – ich denke, Gregory hätte mir mit dieser Einschätzung recht gegeben – stand er wieder auf, stemmte die Hände in die Hüften, schüttelte ratlos den Kopf und seufzte schwer.
    Ein Schauder durchlief mich. Die Uhr war nicht da, ich
wusste
es.
     
    * * *
     
    Bevor Jack am Mittwochabend nach Hause ging, kehrte er noch einmal zum Estuary zurück, um nach Sandys Auto zu sehen. Gloria hatte sich gefreut, als er ihr von seinem Plan erzählt hatte, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Zwar konnte sie nicht recht verstehen, warum es unbedingt einer in Dublin sein musste, aber trotzdem hatte Jack sie seit langem nicht mehr so fröhlich gesehen – was ihm einmal mehr zeigte, wie schlecht er sie in letzter Zeit behandelte. Als er diesen winzigen Schritt auf sie zu machte, konnte er beinahe sehen, wie sie sofort wieder anfing, sich Hochzeit, Kinder, Taufen und Gott weiß was noch auszumalen. Sie konnte ja nicht wissen, dass die psychologische Beratung nicht wirklich ihm galt und dass er keineswegs die Absicht hatte, sich von der Suche nach seinem Bruder heilen zu lassen. Für ihn war das keine Krankheit und auch keine seelische Störung.
    Unter den Bäumen am Shannon Estuary war es stockdunkel, Eulen riefen, und im Unterholz tummelten sich unbekannte Kreaturen. Jack holte eine Taschenlampe aus dem Kofferraum, und als er sie anknipste, sah er, wie mehrere glühende Augenpaare vor Schreck erstarrten und sich schnell ins Gebüsch zurückzogen. Sandys Fiesta war noch an Ort und Stelle, nichts hatte sich in den letzten vierundzwanzig Stunden verändert. Er richtete den Schein der Lampe auf den Weg, der weiter am Estuary entlangführte. Ein hübscher Pfad für Vogelbeobachter und Naturfreunde, vielleicht auch Sandys Joggingroute. Obwohl er dort in den letzten

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