Vermisst: Thriller (German Edition)
Phil und Tim, euch beiden verdanke ich es, dass ich noch am Leben bin. Dieser Hass darf nicht sein.
Was war wirklich zwischen Jax und Hank Sanger gewesen? Was hatten mein Vater und Tim North damit zu tun?
Wie auch immer, mein Vater steckte mitten in der Sache drin. Seit dem Überfall hatte er versucht, mich, Jax und ihre Tochter zu schützen.
Jax’ Blick ruhte unverwandt auf dem Bild. »Ich wollte sie absichern, falls mir was zustößt. Und ich wollte – sie braucht einen Vater. Ich wollte, dass er die ganze Geschichte erfährt. Er sollte sich um sie kümmern.«
Das Video war für Tim gedacht gewesen, aber der hatte keine Ahnung von seinem Inhalt und hätte es bedenkenlos Rio und Christian ausgehändigt. Seine Bemühungen, das Leben seiner Frau zu retten, hatte ihre Tochter in Gefahr gebracht.
»Wie heißt sie?«
»Weißt du das immer noch nicht?«
Kopfschüttelnd betrachtete ich das Bild. Jetzt bemerkte ich auch die Ähnlichkeit: die Katzenaugen, die warme braune Haut, die selbstbewusste Haltung. Aber in ihrem Gesicht las ich eine Lebensfreude, die Jax fremd war.
»Die Wegweiser zu den Sticks sind der Schlüssel zu ihrem Namen. Und denk an den Code, den ich bei Pete verwendet habe. Das kann doch nicht so schwer sein.«
Der Brief mit den Rhythm-and-Blues-Zitaten. Mitternacht im Garten von Gut und Böse. Eine Karte von Shermans Marsch durch die Südstaaten. »Midnight Train to Georgia« von Gladys Knight and the Pips.
Dann ging mir ein Licht auf. Ich hörte die heisere Stimme von Ray Charles in dem überfüllten Club, in dem mein Vater an der Jukebox stand.
»Georgia.«
Jax nahm das Foto. Tiefe Sehnsucht lag in ihrem Blick.
»Ich weiß, was du denkst. Warum schickt eine Mutter ihr Kind um die halbe Welt? Ja, warum wohl? Ich will nicht, dass sie so endet wie ich.« Sie legte mir die Hand auf den Arm. »Wenn die Sangers sie zuerst finden, wird genau das geschehen. Sie könnte meine Gegenspielerin werden. Eines von diesen Kindern des Zorns.«
»Das lassen wir nicht zu.«
Jax fuhr mit dem Daumen liebevoll über das Bild. Mein Adrenalinspiegel stieg schlagartig. Mein Vater musste Jesse eingeweiht haben.
Verstohlen musterte ich Jax. Sie brauchte dringend ärztliche Hilfe, aber wenn ich allein nach London flog, würde ich ihre Tochter nicht retten können. Ich hatte keine Papiere, keinerlei Befugnisse und war dort völlig fremd.
Draußen vor den Fenstern schlenderte ein Polizeibeamter vorbei. Er hatte die Hand auf seine Maschinenpistole gelegt und betrachtete uns sehr interessiert.
»Komm schon«, sagte ich.
Ich bugsierte sie zum Check-in von Thai Airways. Bevor ich mich abwandte, nahm sie mein Handgelenk und drehte es so, dass sie auf meine Uhr schauen konnte. Ein geisterhaftes Déjà-vu-Erlebnis. Genau das hatte Tim getan, als sich unsere Wege trennten. Es war zweiundzwanzig Uhr.
»In drei Stunden lädt das Riverbend-Programm den nächsten Teil des Dossiers auf deinen Laptop. Vergiss nicht, dich einzuloggen.« Sie ließ mich los. »Wir sehen uns in London.«
»Gut. Kit Larkin erwartet dich nämlich in Heathrow. Mach bloß nicht schlapp, sonst gibt’s Ärger.« Ich ließ sie los. »Geh schon. Und dreh deinem Gegner nie den Rücken zu.«
25. Kapitel
Jesse prüfte alles noch ein letztes Mal: Ticket-Ausdruck, Pass. Pannenset für die Reifen. Handschuhe. London konnte im April elendig kalt sein, was das Rollstuhlfahren mit bloßen Händen zur Qual machte. Er schloss seinen Koffer und warf einen letzten Blick auf seine Schreibtischschublade. Die Glock musste hier bleiben. Aber in diesem Fall war Schnelligkeit ohnehin wichtiger als Feuerkraft.
Jax Rivera hat ein kleines Mädchen, das diese Leute haben wollen, hatte Phil gesagt. Das darfst du nicht zulassen, Jesse. Das sind Menschenhändler. Tu, was immer nötig ist.
Er griff nach Rucksack und Schlüsseln, schaltete das Licht aus, sah sich noch ein letztes Mal um und … Es klopfte an der Tür. Einen Augenblick lang blieb er wie erstarrt stehen. Besuch um acht Uhr morgens konnte nichts Gutes bedeuten. Es klopfte erneut. Er fuhr zur Tür und öffnete.
»PJ«, sagte er entgeistert.
Sein Bruder strahlte. »Ich bin bereit.«
»Was?«
»Der erste Tag ist immer der wichtigste. Ich wollte dich zum Frühstück einladen, um mich zu bedanken.«
PJ trug eine neue Baumwollhose zu einem Hemd mit geknöpftem Kragen. Er hatte sich die Haare geschnitten. Mit federnden Schritten betrat er das Haus. Jesse drehte sich verwirrt nach ihm um. PJs Miene
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