Vermisst: Thriller (German Edition)
Wunde war hässlich, aber nicht tief. Das wirkliche Problem lag unter der Oberfläche.
»Ist Shiver entwischt?«, fragte Jax.
»Ja, ich hab sie nicht gekriegt.« Ich drückte das Handtuch gegen ihren Kopf.
Sie zuckte zusammen. »Bliss hat mich von hinten angegriffen. Ich hab sie überhaupt nicht bemerkt.«
»Du hast eine Gehirnerschütterung. Soll ich jemand anrufen? Pete und Daw vielleicht?«
»Mir geht’s gut.«
Das hatte Tim auch gesagt, bevor ich die Schusswunde entdeckte. Ich übte weiter Druck aus, um die Blutung zum Stillstand zu bringen.
»Ich bin schon in Ordnung. Der Saft hat auch seinen Teil dazu beigetragen.« Sie deutete auf zwei leere Orangensaftfläschchen aus der Minibar, die am Waschbecken standen. »Bliss hat mir irgendwas injiziert. Sicher bin ich mir nicht, aber Zittern und Schweißausbrüche deuten auf einen Insulinschock hin. Ein weiteres Symptom ist Aggressivität.«
Stumm starrte ich sie an. Und ob Jax aggressiv gewesen war.
»Durch den Saft ist mein Blutzuckerspiegel angestiegen.« Sie sah auf. »Shiver hat den Stick?«
»Leider ja. Hattest du die Informationen gelöscht?«
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war Antwort genug. »Nein. Ich hatte ihn dechiffriert, und die Daten auf deinen Laptop geladen, aber den Stick noch nicht überschrieben. Die Daten sind intakt und unverschlüsselt.«
»Damit haben sie immer noch nicht das ganze Riverbend-Dossier.«
»Das stimmt, aber Shivers Teil sagt ihr, wo sich der letzte Stick befindet. Wenn Rio den erst mal hat, ist alles vorbei.«
»Wo ist er?«
Sie stand auf. »Wir müssen weg, aber erst räumen wir hier auf.«
Offenbar war sie immer noch verwirrt. »Dafür bräuchtest du schon einen Schweißbrenner.«
Sie ließ die Schultern hängen. »Okay, aber zumindest können wir uns einen Vorsprung verschaffen. Wisch alle Oberflächen ab, die wir berührt haben, und häng das Bitte-nicht-stören-Schild an die Tür.« Sie warf mir einen warnenden Blick zu. »Und schau nach, was die Anzeige auf deinem Laptop sagt. Der Countdown läuft.«
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich stürzte auf den Balkon. Ein kalifornischer Sonnenaufgang hatte meinen Monitor in goldenes Licht getaucht. Jesse saß mit dem Rücken zum Bildschirm.
»Blackburn«, sagte ich.
Er fuhr herum. »Ev! Gott sei Dank!«
»Danke für die Warnung, Jesse.«
»Sie ist gesprungen, das hab ich selbst gesehen, Ev.«
»Aber nur bis zum nächsten Balkon. Sie ist fort.«
18:49:21 sagte die Anzeige in der Ecke des Bildschirms. Ich drückte die Leertaste. Nichts. Ich hatte keine Ahnung, was Jax auf meinen Rechner geladen hatte und wo mein nächstes Ziel war.
Ich blickte Jesse in die Augen. »Sie hat den USB-Stick und weiß, wo sich der letzte Teil des Dossiers befindet. Ich kann mich unmöglich stellen. Danke für die Warnung. Mehr hab ich dir nicht zu sagen.«
Damit riss ich das Kamerakabel aus dem Laptop.
Mit einem wütenden Fluch klappte Jesse den Deckel seines Laptops zu.
Dann wandte er sich dem Fenster zu. Draußen ging die Sonne über den Berggipfeln auf, während unten am Strand Möwen über der donnernden Brandung kreischten und sich immer wieder in die Fluten stürzten.
Das Ungeheuer war mit dem Stick geflüchtet, der zum letzten Steinchen des Puzzles führte. Falls Rio Sanger das in die Finger kriegte, würde genau das eintreten, was Phil befürchtet hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr und griff zum Telefon. Von Balkon zu Balkon konnte er nicht springen. Er konnte ihnen höchstens an der Quelle zuvorkommen.
Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »British Airways.«
»Buchen Sie mich auf den nächsten Flug von Los Angeles nach London.«
23. Kapitel
»London?« Ich schloss die Tür hinter uns, brachte das Bitte-nicht-stören-Schild an und marschierte mit unserem Gepäck zum Aufzug.
Jax drückte den Knopf. »Ruf British Airways an.« Sie reichte mir eine Seite, die sie aus dem englischen Telefonbuch des Hotels gerissen hatte. »Die Nummer steht hier.«
Ich holte tief Luft. »Jesse hat dem FBI gesagt, wo ich bin.«
Nur ihre Augen bewegten sich. »Warum das?«
»Mein Vater hatte ihn gebeten, dafür zu sorgen, dass ich das Riverbend-Dossier nicht zu Gesicht kriege. Falls es Jesse nicht gelingt, mich aus der Sache rauszuhalten, gerät unsere Familie ins Fadenkreuz, hat er angeblich gesagt.«
Ein merkwürdiges Funkeln trat in ihre Augen. »Deine Familie …« Sie stockte. Nach einer Sekunde räusperte sie sich. »Der Junge hat Mumm, es derart
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