Vermisst: Thriller (German Edition)
starrte er Jax an.
»Phil!«, schrie sie verzweifelt.
Christian warf einen Blick in Richtung Wohnzimmer. Dann stieß er einen Schrei aus und flüchtete auf die Veranda. In der Tür erschien mein Vater mit einer monströsen Handfeuerwaffe. Christian sprang über das Geländer und floh durch den Garten.
Mein Vater presste sich an die Wand und spähte um den Türstock herum ins Schlafzimmer. Beide Hände um die Waffe geklammert, sprintete er geduckt zur Verandatür. Doch Christian war offenbar verschwunden. Mein Vater schloss die Fensterläden, ließ die Waffe im Holster unter seiner Windjacke verschwinden und war mit zwei Schritten bei Jax.
Die war in Tränen aufgelöst. »Ich hab’s vermasselt.«
»Es kommt alles in Ordnung.« Er untersuchte ihre Wunde. »Ich schaff dich hier raus.«
Seine Stimme mit dem bedächtigen Akzent der Präriestaaten schien sie zu beruhigen.
Meine Augen brannten. Natürlich war gar nichts in Ordnung. Durch die weit offenen Glastüren im Wohnzimmer war Hank Sanger zu sehen, der auf der Veranda zusammengebrochen war. Von seiner linken Gesichtshälfte war nur noch eine blutige Masse übrig, und unter seinem zerschmetterten Schädel hatte sich eine blutige Pfütze gebildet.
»Das wird schon wieder.« Mein Vater nahm seinen Gürtel ab, um Jax’ Bein abzubinden. Sie bäumte sich auf und krallte sich in seinen Arm. Er legte ihr die Hand auf die Stirn.
»Ich konnte einfach nicht abdrücken. Und dann hat er …«
»Du musst deine Kräfte schonen.«
Er kniete nieder, um sie hochzuheben, aber sie deutete zur Decke.
»Kamera. Im Rauchmelder.«
Hastig stieg er auf einen Stuhl, öffnete den Rauchmelder und zerrte am Kabel. Das Bild verschwand, aber der Ton lief weiter.
»Phil – was ist mit …«
»Tot. Kopfschuss. Wir müssen hier weg.«
Für eine Sekunde kehrte das Bild zurück. Mein Vater blickte gelassen und ohne jedes Zeichen von Reue in die Kamera. Mit einer einzigen Bewegung riss er die gesamte Verkabelung aus der Decke.
Das Bild erlosch. Dafür erschien eine Adresse.
8 Larkdown Chase
London W8
Mein Monitor wurde dunkel, aber ich konnte den Blick nicht abwenden. Immer wieder sah ich Christians panisches Gesicht vor mir, als er vor dem Mann floh, der seinen Vater erschossen hatte. Einem Mann, den er kannte. Ich presste die Hände vors Gesicht, aber Christians eifrige Augen verfolgten mich. Es waren die Augen des schwarzhaarigen Kindes, das in Rios Club meinen Vater angesprochen hatte. Christian Sanger gehörte zu Rios Prostituierten.
Christian erwachte in dem seltsamen Gefühl, dass das Haus auf dem Kopf stand. Irgendwas stimmte nicht. Er öffnete die Augen. Die Sonne blendete ihn. Es war Morgen.
In der Küche schrie eines der Mädchen.
Rio saß vollständig angezogen auf seiner Bettkante. Ihre Lippen waren weiß vor Anspannung.
»Was ist passiert?«
»Bliss ist tot.«
Ein gequälter Laut entrang sich seiner Kehle. Er presste die Decke vor seinen Mund, aber das Winseln ließ sich nicht unterdrücken. Rio musterte ihn wie einen geprügelten Hund.
»Bist du sicher?«, brachte er mühsam heraus.
»Ja. Shiver hat die Leiche gesehen.«
Er biss in die Decke und zog die Knie an. Rio legte ihm eine Hand aufs Bein.
»Ich weiß, dass sie für dich wie eine Schwester war, aber du musst jetzt aufstehen.«
Er rollte sich herum. Dieses geschwisterliche Getue ging ihm auf die Nerven. Wie mit einem Bruder, hatte eines der Mädchen gesagt, nachdem sie es miteinander getrieben hatten. Pervers, aber langweilig.
»Das Dossier. Was ist mit dem Dossier?«, fragte er.
»Shiver hat einen Teil davon.«
»Nur einen Teil?«
Rio erhob sich und zog ihm die Decke weg. »Los, hoch mit dir. Die Delaney fliegt nach London, wo Jax Rivera ihren Balg versteckt hat.«
Er richtete sich auf. »London? Wissen wir, wo?«
»Noch nicht. Shiver ist unterwegs, um Rivera abzufangen.« Sie bugsierte ihn aus dem Bett. »Shiver hat ein Online-Gespräch mitgehört, das die Delaney mit einem Mann hier in der Gegend geführt hat.«
»Wie sah der aus?«
»Attraktiv, clever und ziemlich aufgeblasen.«
»Saß er im Rollstuhl?«
»Davon hat sie nichts erwähnt.« Rio überlegte. »Vielleicht ist es der Kerl, mit dem Jax Rivera angeblich verheiratet ist.«
»Und wieso redet die Delaney mit ihm?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ist es auch jemand anders, aber sei auf der Hut. Du musst davon ausgehen, dass er gefährlich ist.«
Sie schubste ihn zur Kommode und nahm saubere Wäsche, Socken und einen Pullover
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