Verneig dich vor dem Tod
»Ich sah dich unter den Mönchen, Angelsachse. Du bist ein Lügner!«
»Er lügt nicht!« Rasch war Fidelma zwischen Eadulf und den Krieger aus Connacht getreten und hatte die Hand gehoben. »Ich bin Fidelma von Cashel. Steck dein Schwert ein, Garb. Du willst doch nicht unschuldige Menschen töten!«
Garb hatte schon mit dem Schwert ausgeholt und zögerte jetzt verwirrt.
»Ich sage, steck dein Schwert ein«, befahl Fidelma noch einmal, »wenn du nicht eine Anwältin der Gesetze der Fénechus und Tochter eines Königs töten willst.«
Der Krieger musterte sie genau. Dann ließ er langsam das Schwert sinken.
»Du sagst, du bist Fidelma von Cashel?« Jetzt sprach der Mönch neben ihm. »Bist du die
dálaigh
Fidelma, die Anwältin, die den rätselhaften Diebstahl des Schwerts des Großkönigs aufklärte?«
»Ich bin die
dálaigh
Fidelma«, bestätigte sie ohne Zusatz.
Der Mönch betrachtete sie nun mit einer Mischung von Überraschung und Ehrfurcht. Er war ein Mann in mittleren Jahren, mit grauem Haar und irischer Tonsur. Er sah noch sehr gut aus, mit befehlsgewohnter Miene, dunklen Augen und festem Mund.
»Bist du Fidelma, die Schwester des Königs Colgú?«
»Das bin ich.«
»Was machst du dann hier an diesem Ort und mit diesem Angelsachsen?« fragte Garb barsch. Er hatte das Schwert gesenkt, hielt es aber noch blank in der Hand. »Ich sah ihn erst vor zwei Tagen in der Abtei, die Cild leitet. Wie kann er da behaupten, er gehöre nicht zu Cilds Leuten?«
»Ich war auch in der Abtei, Garb«, sagte sie zu ihm. »Bruder Eadulf ist mein Gefährte und Abgesandter desErzbischofs Theodor von Canterbury. Wir waren als Gäste dort und am Abend zuvor angekommen. Ich war krank, und Bruder Eadulf nahm an der Beisetzung seines Freundes Bruder Botulf teil, als du deinen ungewöhnlichen Auftritt hattest.«
Garb runzelte die Stirn. »War Botulf euer Freund?«
»Er war Bruder Eadulfs Freund«, bestätigte Fidelma. »Du solltest nun vielleicht mit deinem Kopf denken und nicht mit deiner Schwerthand.«
Garb blieb mißtrauisch.
»Was wollt ihr hier? Hat Cild euch geschickt?«
Fidelma machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Natürlich nicht. Wir wurden in der Abtei gefangengehalten. Cild plante, mich hinrichten zu lassen, und wir hielten es für klüger, das nicht abzuwarten. Wegen der Worte über Botulf, die du in der Kapelle der Abtei zu Cild sagtest, gingen wir auf die Suche nach dir. Du warst nicht schwer zu finden.«
Der Mönch kam nun mit ausgestreckten Händen auf sie zu und achtete nicht auf den mürrischen Krieger.
»Ich bin Bruder Laisre. Ich leite diese kleine religiöse Gruppe hier und begrüße dich, Fidelma von Cashel. Sei willkommen in Tunstall. Das gilt auch für deinen Gefährten. Gehen wir hinein ans Feuer, da kannst du uns deine Geschichte erzählen und was dich hierhergeführt hat.«
Sie folgten Bruder Laisre in eins der Holzhäuser, und Garb ging mit. Das Schwert hatte er in die Scheide gesteckt, betrachtete aber Eadulf immer noch mit drohenden Blicken. Die Wärme im Gebäude bildete einen erfreulichen Gegensatz zu der Abendkälte draußen. Offensichtlich wurde die Abendmahlzeit zubereitet, denn mehrere Mönche warendamit beschäftigt, und ein aromatischer Duft stieg von dem dampfenden Suppenkessel über dem Feuer auf.
»Ihr seid unsere Gäste, solange es euch gefällt, Fidelma von Cashel«, sagte Bruder Laisre lächelnd. Er wandte sich an Eadulf und begann seine Worte ins Sächsische zu übersetzen, doch Eadulf unterbrach ihn ungeduldig.
»Ich habe auf der Insel der fünf Königreiche studiert«, sagte er knapp. »Ich spreche deine Sprache fließend.«
Bruder Laisre sah erleichtert aus.
»Es ist gut, wenn man eine Sprache gemeinsam hat«, meinte er und lud sie zum Sitzen ein.
Fidelma schaute sich um und bemerkte das kleine
scriptorium
am anderen Ende des Raumes. Das Gebäude diente anscheinend als Speiseraum und Bibliothek für die ganze Gemeinschaft.
»Es überrascht mich, daß es noch eine Gemeinschaft in diesem Land gibt, die an dem Ritual unserer Kirche festhält, Bruder Laisre«, erklärte sie. »Ich dachte, nach dem Beschluß von Whitby, bei dem sich die Angeln und Sachsen für die Regeln von Rom entschieden, hätten alle unsere Geistlichen deren Länder verlassen.«
Bruder Laisre schmunzelte. »Einige von uns entschlossen sich, nicht nachzugeben ohne den Versuch, ein paar unserer Grundsätze zu bewahren. Ja, ich weiß, nach der Synode von Whitby führte Abt Colman viele der irischen
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