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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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werde. Ich leide, werde
ärgerlich, will angreifen und verteidigen. Wozu für so etwas
Zeit verschwenden?<
Tatsache war jedoch, daß sie die wenige Zeit, die ihr noch
blieb, damit verbrachte, in einer fremden Umgebung ihren
Platz zu erobern, weil sonst die anderen ihr ihre Regeln aufzwangen.
>Das darf doch nicht wahr sein. Ich war noch nie so. Ich
habe nie um Kinderkram gekämpft.<
Sie blieb mitten im eisigen Garten stehen. Gerade weil sie
fand, daß das Kinderkram war, hatte sie am Ende akzeptiert,
was ihr das Leben ganz selbstverständlich aufgezwungen
hatte. Als Teenager fand sie es zu früh, eine Wahl zu treffen.
Jetzt, als junge Frau, war sie davon überzeugt, fand sie es zu
spät, sich zu ändern.
Und womit hatte sie ihre ganze Energie bis heute verbraucht? Damit, daß sie versuchte, in ihrem Leben keine
Änderungen zuzulassen. Sie hatte viele ihrer Wünsche geopfert, damit ihre Eltern sie weiterhin so liebten, wie sie sie
als Kind geliebt hatten, obwohl sie wußte, daß wahre Liebe
sich mit der Zeit verändert und wächst und neue Möglichkeiten findet, sich auszudrücken. Eines Tages, als ihr ihre
Mutter weinend sagte, daß die Ehe zu Ende sei, war Veronika zum Vater gegangen, hatte geweint, gedroht und ihm
schließlich das Versprechen abgetrotzt, daß er nicht weggehen würde, ohne zu bedenken, was sie ihren Eltern damit
abforderte.
Als sie beschloß, eine Arbeit zu finden, hatte sie ein vielversprechendes Angebot einer frisch in dem neuen Staat
Slowenien niedergelassenen Gesellschaft aus geschlagen, um
einen schlecht bezahlten, aber sicheren Arbeitsplatz in der
öffentlichen Bibliothek anzunehmen. Sie ging jeden Tag zur
Arbeit, immer zur gleichen Zeit, ließ ihre Vorgesetzten im-
mer spüren, daß sie keine Bedrohung, daß sie zufrieden war
und nicht vorhatte zu kämpfen, um zu wachsen. Alles, was
sie wollte, war ihr Gehalt am Monatsende.
Sie hatte ein Zimmer im Kloster gemietet, weil die Nonnen
von ihren Mieterinnen verlangten, daß sie alle zu einer
bestimmten Zeit nach Hause kamen, und dann die Tür zuschlössen. Wer nicht rechtzeitig kam, mußte draußen bleiben
und auf der Straße übernachten - ein willkommener
Vorwand, wenn sie die Nacht nicht im Bett ihres Liebhabers oder im Hotel verbringen wollte.
In ihren Tagträumen vom Heiraten kam immer eine
kleine Villa am Stadtrand von Ljubljana vor. Ein Mann, der
anders war als ihr Vater und der gerade so viel verdiente,
wie notwendig war, um die Familie zu ernähren, der nichts
anderes wollte als neben ihr vorm Kamin in dem Häuschen
zu sitzen und auf die schneebedeckten Berge zu blicken.
Sie hatte sich selbst dazu erzogen, den Männern nur gerade ein Minimum an Lust zu verschaffen - kein bißchen
mehr und kein bißchen weniger. Sie war auf niemanden wütend, denn dazu hätte sie reagieren, Feind oder Feindin bekämpfen und anschließend die unvorhersehbaren Konsequenzen wie etwa die Rache ertragen müssen.
Als sie fast alles erreicht hatte, was sie vom Leben wollte,
war sie zum Schluß gekommen, daß ihr Leben keinen Sinn
hatte, weil alle Tage gleich waren. Und hatte beschlossen zu
sterben.
    Veronika ging wieder ins Haus und auf die in einer Ecke des
Saals versammelte Gruppe zu. Die Leute unterhielten sich
angeregt, schwiegen jedoch, sobald sie bei ihnen angekommen
war.
    Sie ging geradewegs auf den ältesten Mann zu, der der
Chef zu sein schien. Bevor jemand sie zurückhalten konnte,
hatte sie ihm eine schallende Ohrfeige verpaßt.
»Wirst du wohl reagieren?« fragte sie laut, damit alle im
    Saal es hörten. »Wirst du was tun?«
»Nein.« Der Mann fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Ein feines Rinnsal Blut lief ihm aus der Nase. »Du wirst uns
nicht mehr lange stören.«
Triumphierend verließ sie den Aufenthaltsraum und ging
auf ihre Station. Sie hatte etwas getan, was sie in ihrem Leben
noch nie gemacht hatte.
    Drei Tage waren seit dem Zwischenfall mit der Gruppe vergangen, die Zedka >Die Bruderschaft< nannte. Ihr tat die
Ohrfeige leid, nicht aus Angst vor der Reaktion des Mannes,
sondern, weil sie etwas Neues getan hatte. Kurz, am Ende
könnte sie womöglich noch dazu kommen, das Leben
lebenswert zu finden. Und das wäre ein überflüssiges Leid,
wo sie doch so oder so bald diese Welt verlassen mußte.
    Die einzige Lösung war, sich wieder von allem und allen
zu entfernen, alles daran zu setzen, wieder so zu sein wie
vorher, die Weisungen und Regelungen von Villete zu befolgen. Sie gewöhnte sich an die

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