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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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eine Verrückte, sie mußte zu niemandem nett sein.
Die Frau entfernte sich. Veronika blieb zurück und betrachtete die Berge jenseits der Mauern von Villete. Eine
leise Sehnsucht weiterzuleben glomm in ihr auf, doch sie
verscheuchte sie entschieden.
>Ich muß mir schnell die Tabletten beschaffen.<
Sie dachte über ihre Situation nach. Sie war keinesfalls
ideal. Selbst wenn man ihr Gelegenheit gab, alle Verrücktheiten auszuleben, zu denen sie Lust hatte, wußte sie nicht
einmal, womit sie beginnen sollte.
Sie war noch nie nach etwas verrückt gewesen.
    Nach dem Spaziergang im Garten kehrten alle in den Speisesaal zurück und aßen zu Mittag. Anschließend führten die
Krankenpfleger Männer und Frauen in einen riesigen
Aufenthaltsraum, in dem es viele verschiedene Bereiche
gab: mehrere Sitzgruppen mit Stühlen, Tischen und Sofas,
ein Klavier, einen Fernseher und große Fenster, durch die
man den grauen Himmel und die niedrigen Wolken sehen
konnte. Keines der Fenster war vergittert, denn der Saal ging
zum Garten hinaus. Wegen der Kälte waren die Türen
geschlossen, doch man brauchte nur den Türknauf zu drehen,
um wieder hinauszutreten und zwischen den Bäumen
spazierenzugehen.
    Die meisten setzten sich vor den Fernseher. Einige starrten
ins Leere, andere führten leise Selbstgespräche. Doch wer
hatte das in seinem Leben nicht schon mal getan? Veronika
sah, daß die ältere Frau, Mari, jetzt mit einer größeren
Gruppe in einer der Ecken des riesigen Saals zusammenstand. Einige der Insassen gingen in der Nähe auf und ab,
und Veronika pirschte sich unauffällig an sie heran, weil sie
mitbekommen wollte, was gesprochen wurde.
    Doch als sie näher kam, verfielen alle in Schweigen und
sahen sie an.
»Was willst du?« fragte ein alter Mann, der der Leiter der
Bruderschaft zu sein schien.
»Nichts, ich kam nur gerade vorbei.«
Sie blickten sich alle gegenseitig an und machten wilde
Kopfbewegungen. »Sie ist nur vorbeigekommen!« sagte der
Leiter lauter, und kurz darauf schrien alle den Satz.
Veronika wußte nicht, was sie machen sollte, war wie
gelähmt vor Angst. Ein grimmiger starker Krankenpfleger
kam und wollte wissen, was los sei.
»Nichts«, antwortete einer aus der Gruppe. »Sie kam nur
gerade vorbei. Sie steht da, aber sie geht immer noch gerade
vorbei.«
Die ganze Gruppe fing lauthals an zu lachen. Veronika
setzte ein ironisches Gesicht auf, machte lächelnd kehrt und
entfernte sich, damit niemand sah, daß sich ihre Augen mit
Tränen füllten. Sie ging, ohne etwas überzuziehen, geradewegs in den Garten. Ein Krankenpfleger wollte sie überreden, wieder hereinzukommen, dann kam ein anderer hinzu,
der ihm etwas ins Ohr flüsterte, und die beiden ließen sie
draußen in der Kälte in Ruhe. Es lohnte sich nicht, sich
Sorgen um die Gesundheit einer zum Tode Verdammten zu
machen.
Sie war verwirrt, angespannt und ärgerte sich über sich
selber. Früher hatte sie sich nie provozieren lassen. Hatte
von früh auf gelernt, daß man in jeder neuen Situation immer
kühl und unbeteiligt bleiben mußte. Diese Verrückten hatten
es jedoch geschafft, daß sie sich schämte, Angst hatte, wütend
war, sie am liebsten umgebracht, mit Worten verletzt hätte,
die sie früher niemals zu sagen wagte.
Vielleicht hatten sie ja die Tabletten oder die Behandlung,
um sie aus dem Koma zu holen, in eine zerbrechliche Frau
verwandelt, die unfähig war, aus sich heraus zu reagieren.
Als Teenager hatte sie viel schlimmere Situationen durchgemacht, und jetzt konnte sie zum ersten Mal ihre Tränen nicht
zurückhalten. Sie mußte wieder die alte werden, wieder mit
Ironie reagieren, so tun, als könnten ihr solche Beleidigungen nichts anhaben, denn schließlich war sie doch
allen überlegen. Wer aus dieser Gruppe hatte den Mut gehabt, sich den eigenen Tod zu wünschen? Wer von ihnen
wollte ihr etwas über das Leben beibringen, wo sie sich
doch alle hinter den Mauern von Villete verkrochen? Sie
würde niemals von deren Hilfe abhängig sein, auch wenn sie
fünf oder sechs Tage warten müßte, bis sie starb.
>Ein Tag ist schon um. Es bleiben nur noch vier oder
fünf.<
Sie spazierte etwas umher und ließ die Eiseskälte in ihren
Körper dringen, damit ihr beschleunigter Puls und ihr
pochendes Herz sich beruhigten.
>Also gut, hier bin ich nun, meine Stunden sind im
wahrsten Sinne des Wortes gezählt, und kümmere mich um
Kommentare von Leuten, die ich nie zuvor gesehen habe
und in Kürze auch nie wieder sehen

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