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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Anstaltsordnung: früh aufstehen, Frühstück, Spaziergang im Garten, Mittagessen,
Aufenthaltsraum, zweiter Spaziergang im Garten, Abendessen, Fernsehen, Bett.
    Vor dem Schlafen kam immer eine Krankenschwester mit
den Medikamenten. Alle anderen Frauen nahmen Tabletten.
Sie war die einzige, die eine Spritze bekam. Veronika beschwerte sich nie: Sie wollte nur wissen, warum man ihr so
viel Beruhigungsmittel gab, denn mit dem Einschlafen hatte
sie nie Schwierigkeiten gehabt. Sie erklärten ihr, daß in der
Spritze kein Schlafmittel war, sondern ein Herzmittel.
    Und so verliefen die Tage in der Anstalt gleichförmig.
Wenn sie alle gleich sind, vergehen sie schneller. Noch zwei
oder drei Tage, und sie könnte sich das Zähneputzen und
Haarekämmen sparen. Veronika merkte, daß ihr Herz
schnell schwächer wurde: Sie war schnell kurzatmig, fühlte
Schmerzen in der Brust, hatte keinen Appetit, und bei der
kleinsten Anstrengung wurde ihr schwindlig.
    Nach dem Zwischenfall mit der Bruderschaft dachte sie
manchmal schon: >Hätte ich die Wahl, hätte ich vorher begriffen, daß meine Tage alle gleich waren, weil ich es so
wollte, vielleicht...<
    Aber die Antwort lautete immer gleich: >Es gibt kein
Vielleicht, denn ich habe keine Wahl.< Und ihre innere Ruhe
kehrte zurück, denn es war ja alles schon festgelegt.
    In dieser Zeit entwickelte sie eine Beziehung zu Zedka
(keine Freundschaft, denn Freundschaft verlangte Zeit mitund füreinander, und das ging nicht). Sie spielten Karten.
Das ließ die Zeit schneller vergehen. Und manchmal gingen
sie schweigend zusammen durch den Garten.
    An jenem Morgen gingen alle vorschriftsgemäß an die
Sonne. Ein Krankenpfleger bat Zedka, zurück auf die Station
zu gehen, denn heute sei ihr »Behandlungstag«.
Veronika, die gerade mit ihr frühstückte, fragte:
»Was ist das für eine Behandlung?«
    »Das ist ein altes Verfahren aus den sechziger Jahren,
doch die Ärzte meinen, es könnte die Genesung beschleunigen. Willst du zuschauen?«
    »Du hast gesagt, du leidest unter Depressionen. Reicht es
da nicht, ein Mittel zu nehmen, das dem Körper die Substanz zuführt, die ihm fehlt?«
»Willst du zuschauen?« beharrte Zedka.
    Das würde heißen, aus der Routine auszubrechen. Sie
würde etwas Neues erfahren, wo sie doch nichts weiter zu
lernen brauchte - nur Geduld haben. Doch ihre Neugier war
stärker, und sie nickte.
»Das ist keine Show«, schimpfte der Krankenpfleger.
    »Sie wird sterben. Und hat nichts erlebt. Laß sie mit uns
kommen.«
Veronika sah, wie die Frau ans Bett gefesselt wurde und
dennoch weiterlächelte.
    »Erzähl ihr, was passiert«, sagte Zedka zum Krankenpfleger. »Sonst bekommt sie noch einen Schreck.«
Er wandte sich um und zeigte ihr eine Spritze. Er schien
glücklich darüber zu sein, wie ein Arzt behandelt zu werden,
der einem jüngeren Kollegen die genauen Behandlungsmethoden erklärt.
»In der Spritze ist Insulin«, sagte er ernst und bedeutungsvoll. »Diese Behandlung wird bei Diabetikern angewandt, um einen zu hohen Zuckerspiegel zu senken. Wenn
die Dosis zu hoch ist, sinkt der Blutzuckerspiegel zu stark,
und es kommt zu einem Koma.« Er schnippte leicht an die
Nadel, drückte die Luft aus der Spritze und injizierte sie in
die Ader von Zedkas großem linkem Zeh.
»Jetzt wird folgendes passieren. Sie wird in ein künstlich
hervorgerufenes Koma versetzt. Erschrick nicht, wenn ihre
Augen glasig werden, und erwarte nicht, daß sie dich erkennt, solange das Medikament wirkt.«
»Das ist grauenhaft, unmenschlich. Die Menschen kämpfen
darum, aus dem Koma herauszukommen, nicht darum, ins
Koma zu fallen.«
»Die Menschen kämpfen darum zu leben, und nicht
darum, Selbstmord zu begehen«, entgegnete der Krankenpfleger, doch Veronika überhörte die Spitze. »Im Koma
befindet sich der Organismus in Ruhe. Seine Funktionen
werden drastisch herabgesetzt, mögliche Anspannung verschwindet.«
Während er sprach, spritzte er die Flüssigkeit, und Zedkas Augen verloren ihren Glanz.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Veronika zu ihr, »du bist
vollkommen normal, die Geschichte, die du mir vom König
erzählt hast -«
»Spar dir die Mühe. Sie kann dich schon nicht mehr hören.«
Die Frau auf dem Bett, die Minuten zuvor noch geistig
klar und voller Leben schien, hatte jetzt den Blick starr auf
irgendeinen Punkt gerichtet, und Schaum trat aus ihrem
Mundwinkel.
»Was haben Sie getan?« schrie Veronika den Krankenpfleger an.
»Meine Pflicht.«
Veronika begann

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