Veronica beschließt zu sterben
>Lebe! Wenn du lebst, wird Gott mit dir leben.
Wenn du dich weigerst, Seine Risiken einzugehen, wird Er
in den fernen Himmel zurückkehren und nur noch das
Thema für philosophische Spekulationen sein!<
Jeder weiß das, doch niemand tut den ersten Schritt. Vielleicht aus Angst davor, daß man ihn für verrückt hält. Und
diese Angst haben wir zumindest nicht mehr, Eduard. Wir
haben Villete hinter uns.«
»Wir können nur nicht für den Posten eines Präsidenten
der Republik kandidieren. Die Opposition würde unsere
Vergangenheit ausschlachten.«
Mari lachte und stimmte ihm zu.
»Ich habe das Leben hier satt. Ich weiß nicht, ob ich
meine Angst überwinden kann, aber ich habe die >Bruderschaft< satt, diesen Garten, Villete, ich habe es satt, so zu
tun, als wäre ich verrückt.«
»Und wenn ich's tue, tust du's dann auch?«
»Du wirst es nicht tun.«
»Ich habe es vor ein paar Minuten beinahe getan.«
»Ich weiß nicht. Ich habe dies alles so satt, aber ich bin es
gewöhnt.«
»Als ich hier mit der Diagnose Schizophrenie eingeliefert
wurde, hast du dich tagelang, monatelang um mich
gekümmert und mich immer wie ein menschliches Wesen
behandelt. Ich habe mich auch an das Leben gewöhnt, das
ich zu leben beschlossen hatte, an die andere Realität, die ich
geschaffen habe, doch du hast es nicht zugelassen. Ich habe
dich schon manchmal dafür gehaßt, doch heute liebe ich
dich dafür. Ich möchte, daß du Villete verläßt, Mari, so wie
ich aus meiner abgetrennten Welt herausgekommen bin.«
Mari entfernte sich wortlos.
In der kleinen, nie besuchten Bibliothek von Villete fand
Eduard weder den Koran noch Aristoteles noch die anderen
Philosophen, die Mari erwähnt hatte. Doch da war der Text
eines Dichters:
Daher sagte ich zu mir: Das Schicksal des
Unvernünftigen wird auch meines sein.
Geh, iß dein Brot in Freuden
Und genieße deinen Wein,
Denn Gott hat deine Werke angenommen.
Laß stets weiß sein deine Kleider,
Und laß es auch auf deinem Kopf an Parfüm nicht
mangeln.
Genieße das Leben mit der geliebten Frau An allen den
eitlen Tagen, die Gott dir Unter der Sonne zugesteht.
Denn dies ist dein Anteil am Leben Und an der Arbeit,
die du unter der Sonne tust. Folge den Wegen deines
Herzens Und dem Wunsch deiner Augen, Und wisse,
daß Gott am Ende mit dir abrechnen wird.
»Gott wird am Ende mit dir abrechnen«, sagte Eduard laut.
Und ich werde sagen: Eine Zeitlang habe ich dem Wind zugeschaut und habe vergessen zu säen, ich habe meine Tage
nicht genossen, nicht einmal den Wein getrunken, der mir
angeboten wurde. Doch eines Tages hielt ich die Stunde für
gekommen, um zu meiner Arbeit zurückzukehren. Ich habe
den Menschen von meinen Visionen des Paradieses erzählt,
wie vor mir Bosch, Van Gogh, Wagner, Beethoven, Einstein
und andere Verrückte. Gut. Er wird sagen, daß ich die Anstalt verlassen habe, weil ich nicht zusehen wollte, wie ein
Mädchen starb. Doch sie wird dort im Himmel sein und für
mich eintreten.«
»Was sagen Sie da?« unterbrach ihn die Bibliothekarin.
»Ich will Villete jetzt verlassen«, antwortete Eduard lauter
als gewöhnlich. »Ich habe zu tun.«
Die Angestellte drückte auf eine Klingel, und kurz darauf
erschienen die Krankenpfleger.
»Ich will raus«, wiederholte Eduard erregt. »Es geht mir
gut, lassen Sie mich mit Dr. Igor reden.«
Doch die beiden Männer hatten ihn schon gepackt, jeder
an einem Arm. Eduard versuchte sich loszureißen, obwohl
er von vornherein wußte, daß es zwecklos war.
Trotzdem begann er sich zu wehren.
»Lassen Sie mich mit Dr. Igor sprechen. Ich habe ihm viel
zu sagen, ich bin sicher, er wird mich anhören.«
»Sie haben eine Krise, beruhigen Sie sich«, sagte einer.
»Wir kümmern uns darum.«
»Lassen Sie mich los!« schrie er. »Lassen Sie mich nur
eine Minute mit ihm reden.«
Der Weg in die Krankenstation führte mitten durch den
Aufenthaltsraum. Als der um sich schlagende Eduard an den
versammelten Patienten vorbeigeführt wurde, kam Unruhe
auf.
»Laßt ihn los! Er ist verrückt.«
Einige lachten, anderen schlugen mit den Händen auf
Tische und Stühle.
»Das hier ist ein Irrenhaus! Niemand hier muß sich so
aufführen wie ihr!«
»Wir müssen ihnen einen Schrecken einjagen, sonst gerät
die Lage völlig aus dem Ruder«, flüsterte der eine Pfleger
dem anderen zu.
»Da gibt es nur eins.«
»Dr. Igor wird das gar nicht gefallen.«
»Es wird ihm noch weniger gefallen, wenn die Irren ihm
seine geliebte Anstalt kurz und klein
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