Veronica beschließt zu sterben
doch auch von Darwin mit seiner Theorie,
daß der Mensch vom Affen abstammt; von Freud, der versicherte, daß Träume wichtig seien; von Kolumbus, der das
Geschmeide der Königin verpfändete, um einen neuen Kontinent zu suchen; von Marx mit seiner Vorstellung, daß alle
die gleiche Chance verdienten.
Und da kamen Heilige vor wie Ignatius von Loyola, ein
Baske, der mit allen Frauen geschlafen hatte, mit denen er
hatte schlafen können, der in unzähligen Schlachten mehrere
Feinde getötet hatte, bis er in Pamplona verwundet wurde
und von seinem Krankenlager aus die Welt begriff; und
Teresa von Avila, die den Weg Gottes unbedingt finden
wollte und der dies erst gelang, als sie durch einen Korridor
ging und unwillkürlich vor einem Bild stehenblieb.
Antonius, der das Leben, das er führte, satt hatte und zehn
Jahre lang mit den Dämonen in der Wüste lebte und jede Art
von Versuchung durchstand; Franz von Assisi, ein junger
Mann wie er, der entschlossen war, mit den Vögeln zu reden
und das Leben hinter sich zu lassen, das seine Eltern für ihn
vorgesehen hatten.
Eduard begann noch am selben Nachmittag, dieses »dicke
Buch« zu lesen, weil er nichts anderes hatte, um sich zu
zerstreuen. Mitten in der Nacht kam eine Krankenschwester
herein und fragte ihn, ob er Hilfe brauche, da nur noch in
seinem Zimmer Licht brannte. Eduard schickte
sie mit einer Handbewegung weg, ohne vom Buch aufzuschauen.
Männer und Frauen, die die Welt erschüttert hatten. Ganz
gewöhnliche Männer und Frauen wie er, sein Vater oder
seine Freundin, von der er wußte, daß er sie verlieren würde,
Menschen mit den gleichen Zweifeln und Sorgen wie alle
anderen in ihrem vorprogrammierten Alltag. Menschen, die
kein besonderes Interesse an Religion, Gott, Ausweitung des
Geistes oder einem neuen Bewußtsein hatten, bis sie eines
Tages beschlossen, alles zu verändern. Das Buch war
besonders interessant, weil es erzählte, daß es in jedem
dieser Leben einen magischen Augenblick gegeben hatte,
der die Menschen auf die Suche nach ihrer eigenen Version
des Paradieses aufbrechen ließ.
Menschen, die kein leeres Leben führen wollten und die,
um das zu erreichen, was sie wollten, gebettelt oder Könige
hofiert, Gesetzeswerke zerrissen oder den Zorn der Mächtigen ihrer Zeit herausgefordert hatten; Menschen, die mit
Gewalt oder Diplomatie jede Schwierigkeit überwunden,
genutzt und nie aufgegeben hatten.
Am nächsten Tag gab Eduard dem Krankenpfleger, der
ihm das Buch geschenkt hatte, seine Golduhr und bat ihn, er
möge sie verkaufen und ihm vom Erlös alle Bücher zu
diesem Thema besorgen. Es gab keine. Er versuchte, die
Biographien einiger dieser Menschen zu lesen, doch die beschrieben den Mann oder die Frau stets als einen erwählten,
erleuchteten und nicht als einen gewöhnlichen Menschen,
der wie jeder andere darum kämpfen mußte, das zu sagen,
was er dachte.
Eduard war so beeindruckt von dem Gelesenen, daß er
ernsthaft erwog, ein Heiliger zu werden und den Unfall zu
nutzen, um seinem Leben eine andere Richtung zu geben.
Allein, seine beiden Beine waren gebrochen, und er hatte im
Krankenhaus keine Vision, kam nicht an einem Bild vorbei,
das seine Seele erschütterte, hatte keine Freunde, um mit
ihnen auf der brasilianischen Hochebene eine Kapelle zu
bauen, und die Wüsten waren weit weg und voll politischer
Probleme. Dennoch konnte er etwas tun: malen lernen und
versuchen, der Welt die Visionen zu zeigen, die jene Menschen gehabt hatten.
Nachdem man ihm den Gips abgenommen hatte und er in
die Botschaft zurückgekehrt war, wo er von anderen Diplomaten seinem Rang als Botschafterssohn entsprechend
verwöhnt und umsorgt wurde, bat er seine Mutter, ihn in
einen Malkurs einzuschreiben.
Sie meinte, daß er in der Amerikanischen Schule schon
viel zuviel versäumt habe und sich jetzt daran machen
müsse, die verlorene Zeit aufzuholen. Eduard weigerte sich.
Er hatte nicht die geringste Lust, Geographie und andere
Naturwissenschaften zu lernen.
Er wollte Maler werden. In einem unbedachten Augenblick sagte er den Grund:
»Ich muß die Visionen des Paradieses malen.«
Die Mutter sagte nichts und versprach, mit ihren Freundinnen zu sprechen, um herauszufinden, welches der beste
Malkurs der Stadt war.
Als der Botschafter an jenem Abend von der Arbeit nach
Hause kam, fand er sie weinend in ihrem Zimmer.
»Unser Sohn ist verrückt«, sagte sie, und Tränen liefen
ihr übers Gesicht. »Der Unfall hat sein Gehirn
Weitere Kostenlose Bücher