Veronica beschließt zu sterben
deinen Weg im Leben machst.
Wenn du uns wirklich liebst, tu, um was ich dich bitte.
Wenn du uns nicht liebst, mach so weiter wie bisher.«
Eduard blickte viele Stunden lang in den Himmel von Brasilia, schaute den Wolken nach, die wunderschön durch das
Blau schwebten, doch keinen einzigen Regentropfen für den
trockenen Boden der zentralen Hochebene mit sich führten.
Er war leer wie sie.
Würde er an seiner Wahl festhalten, würde seine Mutter
am Leid zugrunde gehen, sein Vater würde die Begeisterung
für seinen Beruf verlieren, beide würden sich die Schuld
daran geben, bei der Erziehung ihres geliebten Sohnes versagt
zu haben. Würde er die Malerei aufgeben, würden die
Visionen des Paradieses nie entstehen, und nichts mehr auf
dieser Welt würde in ihm Begeisterung oder Freude auslösen können.
Er blickte um sich, sah seine Bilder, erinnerte sich an die
Liebe und den Sinn in jedem Pinselstrich und fand sie alle
mittelmäßig. Er war ein Betrüger, er wollte etwas, für das er
nie erwählt worden war, und der Preis dafür war die Enttäuschung seiner Eltern.
Die Visionen des Paradieses, das war etwas für die erwählten Menschen, die, die in Büchern als Helden und Märtyrer des Glaubens erwähnt werden. Menschen, die schon
von Kindesbeinen an wußten, daß die Welt ihrer bedurfte.
Was in dem Buch stand, war pure Erfindung.
Beim Abendessen sagte er seinen Eltern, daß sie recht
hätten. Alles wäre nur ein Jugendtraum gewesen, und seine
Begeisterung für die Malerei sei auch vorbei. Die Eltern waren
zufrieden, die Mutter weinte vor Freude und umarmte den
Sohn. Die Normalität war wieder eingekehrt.
Nachts feierte der Botschafter heimlich seinen Sieg mit
einer Flasche Champagner, die er allein austrank. Als er ins
Schlafzimmer kam, schlief seine Frau schon tief und fest,
das erste Mal seit vielen Monaten.
Am nächsten Tag fanden sie Eduards Zimmer verwüstet
vor, die Bilder waren mit einem scharfen Gegenstand zerstört worden, und der Junge saß in einer Ecke und blickte in
den Himmel. Die Mutter umarmte ihn und sagte, daß sie ihn
liebe, doch Eduard antwortete nicht.
Er wollte von Liebe nichts mehr wissen, davon hatte er
genug. Er dachte, daß er seinen Traum aufgeben und den
Rat seines Vaters befolgen könnte, doch er war in seiner Arbeit
schon zu weit fortgeschritten: Er hatte die Schlucht, die den
Menschen von seinem Traum trennt, bereits überwunden
und konnte jetzt nicht wieder zurück.
Er konnte weder voran- noch zurückgehen. Da war es
einfacher, von der Bühne abzutreten.
Eduard blieb noch fünf Monate in Brasilien, wurde von
Spezialisten behandelt, die eine seltene, möglicherweise von
dem Fahrradunfall herrührende Form der Schizophrenie
diagnostizierten. Als in Jugoslawien der Bürgerkrieg ausbrach, wurde der Botschafter umgehend in sein Land zu-
rückgerufen; die Probleme häuften sich derart, daß die Eltern
sich nicht um Eduard kümmern konnten. Der einzige
Ausweg war, ihn in dem kürzlich eröffneten Sanatorium
Villete unterzubringen.
ALS Eduard seine Geschichte zu Ende erzählt hatte, war es
dunkel geworden, und beide zitterten vor Kälte.
»Laß uns hineingehen«, sagte er. »Das Abendessen steht
schon auf dem Tisch.«
»Als Kind habe ich immer, wenn wir meine Großmutter
besuchten, ein Bild an ihrer Wand betrachtet. Es stellte eine
Frau dar - die Heilige Jungfrau, wie die Katholiken sie
nennen -, die über der Welt schwebte und die Arme zur Erde
hin ausgebreitet hatte; aus ihren Fingerspitzen kamen
Strahlen.
Am meisten beeindruckt hat mich an dem Bild, daß diese
Frau den Fuß auf eine lebende Schlange gesetzt hatte. Ich
fragte meine Großmutter: >Hat sie keine Angst vor der
Schlange? Fürchtet sie nicht, daß sie sie in den Fuß beißen
und sie mit ihrem Gift töten könnte?<
Meine Großmutter sagte: >Die Schlange hat Gut und
Böse auf die Welt gebracht, wie es in der Bibel heißt. Und
die Heilige Jungfrau lenkt Gut und Böse mit ihrer Liebe.<«
»Was hat das mit meiner Geschichte zu tun?«
»Da ich dich erst seit einer Woche kenne, ist es zu früh zu
sagen, ich liebe dich. Da ich diese Nacht nicht überleben
werde, ist es viel zu spät, es dir zu sagen. Doch die große
Verrücktheit von Mann und Frau ist eben gerade diese: die
Liebe.
Du hast mir die Geschichte einer Liebe erzählt. Ich
glaube ganz ehrlich, daß deine Eltern das Beste für dich
wollten, aber diese Liebe hat dein Leben beinahe zerstört.
Wenn die Heilige Jungfrau auf dem Bild
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