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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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war, seine wahre Berufung zu finden, er
dachte an Maria, von der er nie wieder gehört hatte. Er
zögerte lange, doch dann antwortete er:
»Vater, ich möchte nicht Diplomat werden, sondern Maler.«
Der Vater war auf diese Antwort schon vorbereitet und
wußte, wie er sie umgehen konnte.
»Du wirst Maler werden, aber vorher mach die Schule zu
Ende. Wir werden in Belgrad, Zagreb, Ljubljana und Sarajewo Ausstellungen organisieren. Mit meinen Beziehungen
kann ich dir helfen, aber vorher mußt du deine Ausbildung
abschließen.«
»Wenn ich das tue, wähle ich den einfacheren Weg, Vater.
Ich gehe auf irgendeine Uni, studiere, was mich nicht interessiert, was mir aber Geld einbringt. Dann wird die Malerei
in den Hintergrund, an die zweite Stelle rücken, und ich
werde meine Berufung allmählich vergessen. Ich muß lernen,
mit der Malerei Geld zu verdienen.«
Der Botschafter wurde allmählich böse.
»Du hast alles, mein Sohn: Eltern, die dich lieben, ein
Haus, Geld, gesellschaftliche Stellung. Aber du weißt, daß
unser Land augenblicklich schwierige Zeiten durchmacht.
Es kursieren Gerüchte, daß es einen Bürgerkrieg geben
könnte. Vielleicht kann ich dir morgen schon nicht mehr
helfen.«
»Ich werde mir schon selber zu helfen wissen, Vater. Vertraue mir. Eines Tages werde ich eine Serie mit dem Titel
>Visionen des Paradieses< malen. Es wird die Geschichte
dessen darstellen, was Männer und Frauen bisher nur in
ihren Herzen erlebt haben.«
Der Botschafter lobte die Entschlossenheit seines Sohnes,
beendete das Gespräch mit einem Lächeln und beschloß,
ihm eine Frist von einem Monat zu geben - schließlich war ja
die Diplomatie auch die Kunst, Entscheidungen aufzuschieben, bis die Probleme sich von selbst erledigen.
    Der Monat verging. Und Eduard widmete weiter seine
ganze Zeit der Malerei, den merkwürdigen Freunden und
der Musik, die darauf angelegt zu sein schien, das seelische
Gleichgewicht zu zerstören. Was die Sache noch schlimmer
machte, war, daß er von der Amerikanischen Schule flog,
weil er mit der Lehrerin über die Existenz der Heiligen gestritten hatte.
    Da eine Entscheidung nicht mehr aufgeschoben werden
konnte, bestellte der Botschafter den Sohn in einem letzten
Versuch zu einem Gespräch unter Männern.
    »Eduard, du bist alt genug, um die Verantwortung für
dein Leben zu übernehmen. Wir haben alles, solange es
ging, ertragen, doch jetzt ist der Augenblick gekommen,
wo Schluß mit diesem Blödsinn ist, daß du Maler werden
willst, und Zeit, deine Karriere zu planen.«
»Aber Vater, Maler werden ist doch auch eine Karriere.« »Du
    siehst offensichtlich unsere Liebe, unsere Bemühungen nicht,
dir eine gute Ausbildung zu geben. Da du früher
nicht so warst, kann ich das nur auf den Unfall zurückführen.«
    »Verstehe doch bitte, daß ich euch beide mehr als sonst
jemanden auf der Welt oder in meinem Leben liebe!«
Der Botschafter räusperte sich. Er war so direkte Gefühlsäußerungen nicht gewohnt.
»Dann tue im Namen dieser Liebe, die du für uns empfindest, was deine Mutter von dir möchte. Laß eine Zeitlang
diese Geschichte mit der Malerei, such dir Freunde, die deiner
gesellschaftlichen Position entsprechen, und geh wieder zur
Schule.«
»Du liebst mich doch, Vater. Das kannst du nicht von mir
verlangen, denn du bist mir immer ein Beispiel dafür gewesen, daß man um das, was man will, kämpfen muß. Du
kannst nicht von mir wollen, daß ich ein Mann ohne eigenen
Willen bin.«
»Ich sagte: im Namen der Liebe. Ich habe das nie zuvor
gesagt, mein Sohn, aber ich bitte dich jetzt. Um der Liebe
willen, die du für uns empfindest, um der Liebe willen, die
wir für dich empfinden, komm nach Hause zurück, nicht
nur im physischen Sinne, sondern ganz real. Du machst dir
etwas vor, fliehst vor der Realität.
Seit deiner Geburt haben wir unsere ganzen Hoffnungen
in dich gesetzt. Du bist alles für uns, unsere Zukunft und
unsere Vergangenheit. Deine Großeltern waren Beamte,
und ich mußte wie ein Stier kämpfen, um die diplomatische
Laufbahn einzuschlagen und dort Karriere zu machen. Das
alles nur, um dir den Weg freizumachen, dir die Dinge zu
erleichtern. Ich besitze noch den Füllfederhalter, mit dem
ich mein erstes Dokument als Botschafter
unterzeichnete, und habe ihn voller Zärtlichkeit verwahrt,
um ihn dir an dem Tag zu vermachen, an dem du das gleiche
tust.
Enttäusche uns nicht, mein Sohn. Wir haben nicht mehr
viel Zeit zu leben, wir wollen ruhig sterben im Wissen, daß
du

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