Veronica beschließt zu sterben
Mädchen
aus einer guten Familie in Frankreich oder Deutschland
finden, die würdig die glänzende Diplomatenkarriere begleitete, für die der Vater ihm den Weg ebnete.
Eduard hingegen wirkte immer verliebter. Seine Mutter
wandte sich besorgt an ihren Mann.
»Die Kunst der Diplomatie besteht darin, den Gegner
hinzuhalten«, sagte der Botschafter. »Über die erste Liebe
kommen viele nie hinweg, doch von Dauer ist sie trotzdem
nie.«
Aber Eduard war wie verwandelt. Er brachte merkwürdige Bücher mit nach Hause, baute in seinem Zimmer eine
Pyramide auf und brannte zusammen mit Maria jede Nacht
Räucherstäbchen ab und saß mit ihr versunken vor einer an
die Wand gehefteten merkwürdigen Zeichnung. Eduards
schulische Leistungen wurden immer schlechter.
Seine Mutter verstand zwar kein Portugiesisch, sah jedoch die Bucheinbände: Kreuz, Feuer, aufgehängte Hexen,
exotische Symbole.
»Unser Sohn liest gefährliche Sachen.«
»Gefährlich ist, was auf dem Balkan geschieht«, entgegnete der Botschafter. »Es gibt Gerüchte, daß die Provinz
Slowenien die Unabhängigkeit will, und das kann uns in den
Krieg führen.«
Die Mutter maß jedoch der Politik nicht die geringste
Bedeutung zu. Sie wollte wissen, was mit ihrem Sohn los
war.
»Warum verbrennen die immer Räucherstäbchen?«
»Um den Marihuanageruch zu überdecken«, sagte der
Botschafter. »Unser Sohn hat gute Schulen besucht, er wird
nicht glauben, daß diese parfümierten Stäbchen Geister anziehen.«
»Mein Sohn nimmt Drogen!«
»Das kommt vor. Ich habe auch Marihuana geraucht, als
ich jung war, und irgendwann hat man genug davon, so wie
auch ich irgendwann genug hatte.«
Die Frau war beruhigt und stolz: Ihr Mann hatte Erfahrung, er war im Drogenmilieu gewesen und war unversehrt
wieder herausgekommen. Ein Mann mit so viel Willenskraft meisterte jede Situation.
Eines schönen Tages hatte Eduard einen besonderen Wunsch:
Er wollte ein Fahrrad haben.
»Wir haben einen Fahrer und einen Mercedes. Wozu
brauchst du ein Fahrrad?«
»Um näher an der Natur zu sein. Maria und ich werden
zehn Tage wegfahren«, sagte er. »Es gibt hier in der Nähe
eine Stelle mit unglaublichen Kristallvorkommen, und Maria
meint, sie würden gute Energie übertragen.«
Vater und Mutter waren im Kommunismus erzogen worden. Kristalle waren nur Mineralien und gehorchten einer
bestimmten Art der Anordnung von Atomen. Irgendeine
wie auch immer geartete positive oder negative Energie
strahlten sie nicht aus. Die Eltern hörten sich um und er-
fuhren, daß diese Ideen von »Kristallschwingungen« gerade
in Mode kamen.
Wenn ihr Sohn bei einem ihrer offiziellen Empfänge dieses
Thema anschnitt, könnten die anderen das lächerlich finden.
Zum ersten Mal wurde dem Botschafter klar, daß die Lage
sich zuspitzte. Brasilia war eine Stadt, die vom Klatsch
lebte, und bald würden alle wissen, daß Eduard irgendwelchem primitiven Aberglauben anhing, und die Botschafterkollegen könnten meinen, er habe dies von seinen
Eltern. Und Diplomatie war schließlich nicht allein die
Kunst des Hinhaltens, sondern auch der Wahrung von Normalität um jeden Preis.
»Mein Sohn, so kann das nicht weitergehen«, sagte der
Vater. »Ich habe in Jugoslawien Freunde im Außenministerium. Du hast eine brillante Diplomatenlaufbahn vor dir und
mußt lernen, dich der Realität zu stellen.«
Eduard verließ das Haus und kam an dem Abend nicht
wieder. Seine Eltern riefen bei Maria, in den Leichenhallen
und Krankenhäusern an. Niemand wußte etwas. Die Mutter
verlor das Vertrauen in die Qualitäten ihres Mannes als
Familienoberhaupt. Sein hervorragendes Verhandlungsgeschick hatte hier offensichtlich nicht funktioniert. Am nächsten Tag tauchte Eduard hungrig und übernächtigt wieder
auf. Er aß und ging auf sein Zimmer, steckte seine Räucherstäbchen an, betete seine Mantras, schlief den Rest des
Nachmittags und die ganze Nacht. Als er aufwachte, wartete
ein nagelneues Fahrrad auf ihn.
»Geh zu deinen Kristallen«, sagte die Mutter. »Ich werde
das deinem Vater schon erklären.«
Und so machte sich Eduard an diesem trockenen, staubigen
Nachmittag zu Marias Wohnung auf. Die Stadt war so perfekt
entworfen (fanden die Architekten) oder so mißlungen (fand
Eduard), daß es fast keine Ecken gab. Er fuhr rechts auf
einem Fahrstreifen für hohe Geschwindigkeiten, blickte in
den Himmel voller Wolken, die keinen Regen brachten, als
er bemerkte, daß er mit ungeheurer Geschwindigkeit in
diesen Himmel
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