Verplant verliebt
Marie hätte es ihnen nur allzu gerne gleichgetan, doch sie konnte noch nicht. Karlo und sie mussten zuerst Bernadette abschütteln, die den ganzen Abend jeden ihrer Schritte verfolgt hatte. Als Karlo nach dem Abendessen aufgestanden war, um sein Gepäck auf das Zimmer des rosa Grauens zu tragen, hatte Bernadette verkündet, bei dieser Gelegenheit die Räume im Haupthaus inspizieren zu wollen. Marie verschluckte sich an einem Cracker und versuchte, während sie japsend nach Luft rang, Karlo unauffällig zu signalisieren, dass das keine gute Idee war. Sie riss panisch die Augen auf und schüttelte wild den Kopf. Da beschloss Karlo wohlweislich, sein Gepäck doch noch stehen zu lassen. Stattdessen schüttete er Bernadette einen Obstler nach dem anderen ein. Das war zwar kein idealer Plan – sie konnten Bernadette ja schlecht die nächsten zwei Tage ununterbrochen abfüllen – aber im Moment hatte Marie auch keine bessere Idee.
„Bringscht du misch nachher in mein Bettschen?“, nuschelte Bernadette in Karlos Ohr. Sie versuchte sich in einem Schlafzimmerblick, der durch einen Rülpser deutlich an Romantik verlor.
Marie verdrehte die Augen und ging in die Küche, um zu sehen, ob sie ihrer Tante noch zur Hand gehen konnte. Marie genoss das vertraute Gefühl, das diese Räume in ihr wachriefen. Ein bisschen stolz war sie auch. Sie hatte vor einigen Jahren zwei Wochen Urlaub genommen und die altmodische Gastwirtschaft einmal komplett umgemodelt. Die langen Sitzbänke, die den Raum umschlossen, und die Stühle hatte sie mit pastellgrünem Stoff überziehen lassen. Die vergilbten Lampen waren cremefarbenen Schirmen gewichen und die schweren dunkelgrünen Vorhänge ersetzte Marie durch leichte Schals in hellem Gelb. Die frischen Töne verliehen dem Raum mit seinen alten, massiven Holzmöbeln eine moderne, aber dennoch gemütlich-rustikale Atmosphäre.
Marie hatte es schon immer mehr in die Gaststätte ihrer Tante als in das Hotel ihrer Mutter gezogen. Sie liebte den Geruch von in Ei angebratenen Maultaschen. Die siebenseitige Karte mit lokalen Spezialitäten, von denen Marie jedes einzelne Rezept noch fest im Kopf hatte. Die Regelmäßigkeit, mit der sich das Geschehen hier wiederholte. Die stundenlangen Treffen der Klatschbasen des örtlichen Sportvereins, die Marie immer bestens über die Geschehnisse im Dorf auf dem Laufenden gehalten hatten. Die Skatrunde der dazugehörigen Männer, in der abgesehen von der gelegentlichen Bestellung einer weiteren Runde Bier in zufriedener Eintracht geschwiegen wurde.
Marie hatte ihr Taschengeld immer in der Küche aufgebessert. Über die Jahre war sie von der einfachen Abwäscherin zu einer recht passablen Köchin aufgestiegen. Noch immer bereitete Marie hin und wieder eines der Standardgerichte zu, wobei jeder Handgriff saß. Diese Routine beruhigte sie.
Bevor Marie die massive Schwingtür aus Eichenholz aufstieß, hörte sie ihre Tante tuscheln. „I bin so froh, dass unsere Marie nemmer alloi isch, jetzt wo mir diese Nachricht bekomme.“
„I glaub au. Es wird se wohl nimmer schocken.“
Marie betrat die Küche. „Was wird mich nicht mehr schocken?“
Die beiden sahen sie an, als wären sie gerade beim Kekseklauen erwischt worden.
„Net so wichtig, Schätzle“, sagte ihre Mutter hastig und wandte sich wieder den Gläsern zu. Doch wenn Marie eines von ihrer Mutter gelernt hatte, dann war das Hartnäckigkeit.
„Na so unwichtig kann es ja nicht sein, wenn ihr vorher darüber mutmaßt, ob es mich schocken wird oder nicht.“
Marie sah beide abwartend an. Es dauerte nicht lange, bis Gisela tief Luft holte und ihre Hände in die Hüften stemmte. Im Wahren von Geheimnissen war sie immer schon schlechter gewesen als ihre Schwester.
„Der Hannes wird Papa.“ Gisela atmete laut aus, als wäre eine Last von ihr gefallen.
Marie fuhr ein Stich in den Magen.
Ihre Mutter ergänzte: „Aber jetzt, wo du den Karlo hasch, sind mir beruhigt. Wärsch jetzt alloi g’wesen ...“
Marie zogen diese Worte fast den Boden unter den Füßen weg. Sie wünschte, was ihre Mutter sagte, wäre wahr. Dass sie jemanden an ihrer Seite hätte, der ihr Grund zur Gelassenheit geben würde. Doch Karlo war nur ihr Kollege und künftiger Chef und niemand würde sie jetzt in die Arme schließen und ihr den Halt geben, den sie in diesem Moment brauchte. Dank der Show, die Karlo und sie abgezogen hatten, konnte sie noch nicht einmal auf das Mitgefühl ihrer Mutter und ihrer Tante hoffen, denn die
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