Verräterherz (German Edition)
Nämlich die, dass da nichts mehr zu machen sei. Und das Gleiche galt auch nun wieder. Ich hatte Morlet – einen Hüter – getötet … und nun war nichts mehr daran zu ändern.
~ღ~
Vielleicht fragst du dich, was so unglaublich schlimm daran ist, dass ich einen Hüter tötete … vielleicht ist es dir aber anhand der Beschreibungen eines Hüters ohnehin schon klar. Ein Hüter ist so etwas wie ein Heiliger unter uns Vampiren. Mit ihm steht und fällt die Gesellschaft der Vampire … also, jeder einzelne von uns. Und so kann man sich ausrechnen, dass auch jeder einzelne Vampir von da an einen Feind in mir sah. Diese Nachricht ist ungefähr so schrecklich, wie ein zweiter Tod. Allerdings gibt es da einen Unterschied. Als Mademoiselle la mort mir die Botschaft meines Todes überbrachte, sah ich ein Ende. Nämlich das Ende meines Lebens – nicht schön, aber etwas, das irgendwann vorbei ist. Dass es nicht vorbei war, ist natürlich der Gnade meines Vampirdaseins zu verdanken. Doch diesmal war die Botschaft unendlich. Wenn man mich zum Vampirfeind erklärte, würde es niemals einen Zeitpunkt geben, an dem mein Leiden vorbei wäre. Ein unendliches Leben ist wenig reizvoll, wenn andere es dazu nutzen, einen bis in die Ewigkeit zu quälen.
Ich weiß nicht mehr genau, wann Sebastian und Claude keine Lust mehr hatten, auf ihr Opfer zu warten. In meinem Kopf herrschte ziemliches Chaos und ich legte mir tausend Pläne zurecht, wie ich am besten vorgehen würde, nun, da ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt war. Tausend Pläne – keiner davon brauchbar!
Und plötzlich dämmerte mir etwas. Es war nicht direkt ein Plan, der endlich Gestalt angenommen hatte – vielmehr waren es Fragen, die ich mir immer wieder stellte, und von denen ich nun begriff, dass es jemand anderen gab, dem ich sie würde stellen müssen, wenn ich etwas Licht ins Dunkel und Hoffnung in meine Hoffnungslosigkeit bringen wollte.
Das Problem war nur, ich hatte keine Ahnung, wie ich denjenigen erreichen sollte, ohne den aristokratischen Kopfjägern auch noch in die Hände zu spielen. Denn die „Person“, die ich treffen wollte, war der Tod selbst. Fräulein Knochenmann hatte mich Zweihundertfünfzig Jahre lang nicht mehr gesehen, und nun war ich begierig darauf, dem Mädchen mit den Zöpfen wieder zu begegnen. Natürlich würde ich jemanden töten müssen, um die Chance auf ein Treffen mit ihr zu haben. Da ich jedoch in den vergangenen Jahrhunderten bereits ständig getötet hatte, ohne dass der Tod sich mir gezeigt hatte, kam ich zu einem Entschluss. Ich selbst musste dem Tod wieder nahe sein, damit mein Plan aufging. Doch wie sollte das funktionieren, ohne dass ich mir eigenhändig einen Pflock in den herzlosen Leib rammte? Es gab nicht allzu viele Möglichkeiten, und so wählte ich die Verbleibende. Ich begann zu hungern.
Der erste Tag fiel mir leicht. Am zweiten hatte ich Appetit. Der dritte Tag war schon unangenehmer, aber ich war es durch meine Reisen gewohnt, zu verzichten. Ich hatte zu der Zeit ein kleines Appartement an der Seine, in das ich mich selbst eingeschlossen hatte, um mein Ziel zu erreichen. Natürlich wäre es mir ein Leichtes gewesen, die Wohnung auf anderem Wege zu verlassen, oder die Tür einzutreten. Doch das war nicht mein Ziel. Mein Ziel war es, schwächer zu werden. Kraftlos und blutleer musste ich werden. Ich saß die ganze Zeit über in einem Ohrensessel, den ich von einem ausziehenden Nachbarn geschenkt bekommen hatte, und wartete auf den Tod. Aber so schnell geht das nun einmal nicht. Zumindest jedoch fühlte ich mich in meiner Wohnung einigermaßen sicher vor der Bande von Vampiren, die mich ohne zu zögern den Morlets ausgeliefert hätte, wenn sie meiner habhaft geworden wären.
Der vierte Tag war quälend. Aber ich langweile dich, darum werde ich meine Erzählung abkürzen, auch wenn ich auf ein wenig Verständnis für meine heroische Tat hoffte. Vergebens wohl ... nun denn.
Der zehnte Tag schließlich erwies sich als der Schlimmste meines ganzen Vampirlebens. Der Hunger bereitete mir schon seit Stunden – ich bin nicht in der Lage zu sagen, wie viele es waren - körperliche Schmerzen. Es ist so, als würden einem die ausgetrockneten Adern durch kleine Öffnungen aus dem Körper gezogen. Adern, die kein eigenes Blut mehr führen. Reißender Schmerz, der sich in jedem Körperteil festsetzt und einen wünschen lässt, alle Gliedmaßen würden sich einfach in nichts auflösen, nur um der bestialischen Pein zu entkommen.
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