Verräterherz (German Edition)
Hinzu kommt das Gefühl, dass man durch den übermächtigen Hunger gar nicht mehr in der Lage ist, noch etwas zur eigenen Rettung beizutragen. Das ist nicht gut für die Psyche ... gar nicht gut, also verheerend, wenn du verstehst, was ich damit sagen möchte.
Ich saß da und wusste, dass ich zum Beispiel nicht mehr in der Lage sein würde, den Körper zu wechseln, um eine Unterbrechung meiner höllischen Qualen einzuleiten. Es war Lucien Chevrier, der zum zweiten Mal dem sicheren Tode entgegenging. Ein Vampir kann durchaus verhungern, auch wenn das eigentlich so gut wie nie geschieht, da er zugleich in der Lage ist, sich gegen jeden Menschen zu wehren, der ihn gefangen nehmen will. Menschen müssen schon verdammt viel Glück haben, um so etwas fertig zu bringen. Meist sind es jedoch Vampire, die andere Vampire willentlich verhungern lassen. Wie gesagt, es kommt äußerst selten vor, aber ich hörte von einem Fall, in dem ein Vampir gleich drei andere unserer Art in einem Keller eingesperrt haben soll. Er öffnete die Tür nicht mehr, bis er sicher sein konnte, dass auch der Letzte an Hunger gestorben war. Er war so dumm, seine Tat schriftlich festzuhalten und über die Geschehnisse zu berichten, die er anhand des Zustandes der körperlichen Überreste seiner Testpersonen erkennen konnte. Sie hatten irgendwann damit begonnen, sich gegenseitig die Zähne in die ausgetrockneten Leiber zu bohren. Die drei müssen derart mit Bisswunden übersät gewesen sein, dass wohl ihre blanken Knochen teilweise durch das massiv durchlöcherte Fleisch zu sehen waren. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass sich Vampire nicht voneinander nähren können. Das ist so, als würde man versuchen, seinen Durst aus einem versiegten Brunnen zu stillen. Man kann den Eimer noch so oft hinabwerfen und wieder hinaufziehen, der Boden bleibt doch trocken.
Vermutlich hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mich selbst gebissen. Man denkt nicht unbedingt logisch, während man stirbt. Ich wusste nicht genau was passiert, wenn ein Vampir verhungert. Ich wusste nur, dass die Zeit langsam kam und ich es bald erfahren würde.
Als der Schmerz mich zu Boden zwang, verfluchte ich mich selbst, weil ich nicht den Pflock gewählt hatte. Ich krümmte mich, so wie ein Mensch es wohl nach dem Verzehr eines verdorbenen Fischgerichtes tut.
Als mir ein Handgelenk vor die Augen geschoben wurde, zögerte ich nicht. Ich handelte rein instinktiv, vergrub meine Zähne darin und saugte das Blut wie von Sinnen. Nur vage kam mir ins Gedächtnis, dass ich dadurch selbst meinen Plan vereitelte. Ich würde nicht sterben, wenn ich mich nährte. Andererseits begriff ich langsam, welch zartes Handgelenk ich da in meiner Gier malträtierte … das eines Kindes. Abrupt riss ich den Kopf hoch und blickte in die Augen des Mädchens. Mademoiselle la mort, wie ich sie in Gedanken liebevoll nannte, war zu mir gekommen! Sie zog ihren Arm fort, rieb sich das Handgelenk, das nun wieder unverletzt war, und sagte: „Du hast da Blut am Kinn. Und auf der Brust. Und auf deinen Beinen.“
Ich verstand den Fingerzeig. Meine „Tischmanieren“ hatten wohl etwas zu wünschen übriggelassen. Ich wischte mir über das Kinn und unternahm einen halbherzigen Versuch, das Blut auf meiner Brust verschwinden zu lassen. Ich verteilte es jedoch nur dekorativ und gab es rasch wieder auf.
„ Du bist hier“, brachte ich dann leise hervor, mir der umwerfenden ‚Intelligenz’ dieses Satzes nur zu bewusst.
Sie sah mich schweigend an und machte eine auffordernde Geste, damit ich weitersprach. Dummerweise fehlten mir die richtigen Worte.
„ Ich wollte dich etwas fragen“, brachte ich schließlich ziemlich lahm hervor. Sie wiegte den Kopf demonstrativ hin und her, was dazu führte, dass die Zöpfe lustig wippten.
„ Du hast versucht, dich selbst zu töten, nur um mir eine Frage zu stellen?“
„ Ja“, erwiderte ich und kam mir plötzlich ziemlich einfältig vor.
„ Das war dämlich“, bestätigte sie mein Gefühl.
„ Ich wusste nicht, wie ich dich sonst erreichen soll.“ Meine Verteidigung klang so schwach wie ich mich fühlte.
„ Ich bin anders nicht zu erreichen“, erwiderte das Mädchen und seufzte schwer, dann fügte es an: „Das ist auch nicht notwendig. Ich brauche keine Bürozeiten für meine Geschäfte. Ich bin der Tod. Normalerweise sieht man mich nur einmal und danach nie wieder. Wir haben nun zum zweiten Mal das Vergnügen und irgendetwas sagt mir, dass du dich sträuben
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