Verräterherz (German Edition)
den Himmel, und es hatte daher Furcht, etwas Böses über den Mann zu denken, der es so früh und überaus brutal aus dem Leben gerissen hatte. Ich versprach ihm, dass es sich schon bald im Himmel wiederfinden würde, und versicherte ihm zugleich, dass es dort niemals dem Wesen begegnen würde, das ihm das angetan hatte. Ich selbst schlüpfte in den Körper des Mädchens, kaum dass seine Seele die Reise angetreten hatte. Sterbenden in dieser Gestalt zu begegnen, schien mir eine gute Sache zu sein. Ich mag die Überraschung auf den Gesichtern, wenn sie meine Gestalt erblicken. Sie ist mir allemal lieber, als diese angstvollen und entsetzten Mienen, die mir normalerweise begegnen. Morlet behielt ich weiterhin im Auge. Als er dich schließlich tötete – und zudem noch bestahl – war meine Geduld endgültig aufgebraucht. Er hatte abermals gegen die Regeln verstoßen, also tat ich es auch, ohne jene zu fragen, die für deine weitere Bestimmung die Entscheidung zu treffen hatten. Ich nahm die Schelte in Kauf und ich habe es nicht bereut. Ich machte dich zum Vampir, damit du Rache an ihm würdest üben können. Es dauerte etwas, bis ich dir durch die Uhr auf den rechten Weg helfen konnte. Du musst das verstehen. Für mich läuft die Zeit anders ab, als für dich. Mir kam es vor, als hätte ich dich gerade erst aus dem Blick gelassen, und schon sind zweieinhalb Jahrhunderte in deiner Zeit vergangen. Aber so etwas passiert, wenn man beschäftigt ist, nicht wahr?“
Ich machte eine vage Geste der Zustimmung. Vermutlich hatte der Tod recht, dennoch war ich nicht gerade begeistert, als ich erfuhr, dass ich die Rache an meinem Mörder schon viel früher hätte erleben können, und nur aus dem Grund darauf hatte warten müssen, weil der Tod mich aus den Augen verloren hatte. Nun, dann wäre ich allerdings wohl auch schon viel früher in die unausweichliche Lage geraten, in der ich mich nun befand. Ich gebe zu, dass ich über die Dinge, die ich durch ihn erfahren hatte, äußerst verwirrt war. Schließlich wird einem nicht täglich offenbart, dass der Tod selbst einen für seine Zwecke genutzt hat. Und dann war da noch die Sache mit der Uhr, die mich durch die Hilfe des Todes auf die Spur meines Mörders geführt hatte. Dies hatte sie nur gekonnt, weil ich selbst getötet hatte. Ich versuchte etwas mehr darüber in Erfahrung zu bringen, doch ich begriff schnell, dass ich nur über das Kenntnis erhalten würde, was mein Gesprächspartner preisgeben wollte.
Der Tod erzählte so ruhig weiter, als wolle er die Zeit wieder gutmachen, in der er mich vergessen hatte.
Er ließ seine Hektik hinter sich, und irgendwie sah ich immer mehr hinter die Fassade des kindlichen Körpers, den er für seine Erscheinung gewählt hatte.
„ Ich verfolge sowohl die Menschen, als auch die Vampire schon seit dem Beginn ihrer Existenz an. Denn wo Leben ist, da ist auch der Tod. Mit den Vampiren habe ich natürlich insgesamt wesentlich seltener zu tun, aber es kommt vor. Und das ist gut so, denn sonst wäre die Welt eines Tages nur noch von euch Blutsaugern bevölkert, und du wirst mir wohl recht geben, dass das auch euch selbst nicht gerade dienlich wäre.“
Ich nickte zustimmend.
„ Nun, ich bin im Laufe der Zeit auch einigen Hütern begegnet. Es gab etwa vier oder fünf, die sich selbst geopfert haben, nachdem sie mit ihrer Aufgabe gescheitert waren, die Vampirwelt zu beschützen. Sie ließen sich einsperren und verhungerten – ganz genauso, wie du es nun versucht hast.“
Mir stand der Mund offen. Ich hatte also nichts weiter getan, als etwas zu wiederholen, was der Tod bereits kannte. Aber im Ernst ... auf welche Art kann man sich wohl überhaupt noch umbringen, die dem Tod neu wäre, mal davon abgesehen, dass mir persönlich da ohnehin nicht viele Möglichkeiten blieben. Er schien von meinen Überlegungen nichts mitzubekommen, sondern fummelte an einem seiner Haargummis, bis der Zopf sich löste und das lange Haar sich in einer Kaskade aus Rot über seine zierlichen Schultern ergoss.
„ Ich lernte also die Hüter als sehr ehrenvolle Geschöpfe kennen und hatte einige wirklich anregenden Gespräche mit ihnen, bevor ich sie auf ihren weiteren Weg schickte.“
Mir ging etwas im Kopf herum, kaum dass er zu Ende gesprochen hatte. Und nein, es war nicht die Tatsache, dass nun ein guter Zeitpunkt gewesen wäre, um zu fragen, was mit Vampiren geschah, wenn sie durch einen widrigen Umstand doch dem Tode geweiht waren. Es war vielmehr die Frage,
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