Verräterherz (German Edition)
ob ich für ihn ebenfalls ein anregender Gesprächspartner war, die mich beschäftigte. Ich gebe zu, dass meine Gedanken wohl an Eitelkeit kaum zu überbieten waren, aber immerhin war dies nun schon unser zweites Gespräch, und vermutlich passierte das gerade dem Tod nicht sehr häufig. Also ist es nur legitim, dass ich mir insgeheim die Frage stellte, ob ich ihm auch wert erschien, sich mit mir zu unterhalten, oder ob ich ihn langweilte ... zu Tode langweilte am Ende gar noch?
„ Im Prinzip sollte es mir egal sein, was diejenigen im Leben getan oder gelassen haben, die ich abhole. Ich bin nur für den Transport zuständig, aber nicht für die Einsortierung, wenn du verstehst, was ich meine.“
Das Mädchen sah mich an. Und ich fragte mich, ob ich es wirklich verstand. Ich nickte schließlich, weil ich fand, dass ich zumindest die Grundzüge durchaus begriffen hatte.
„ Aber manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich einen genaueren Blick auf das vergangene Leben der Verstorbenen werfe. Das ist nicht gut, weil es mich manchmal beeinflusst.“
Nun war ich tatsächlich verwirrt. „Wie das?“, kam es über meine Lippen. Das Mädchen kratzte sich verlegen an der Stirn.
„ Ich bin dann vielleicht manchmal etwas ruppiger, als ich es sein müsste. Und einige vergaß ich übermäßig lange in der Zwischenwelt ... versehentlich.“
„ Natürlich“, bestätigte ich gnädig.
Der Tod schien erleichtert, dass ich so verständnisvoll war. Er wurde nun wieder sicherer und seine Stimme klang für ein Kind viel zu kraftvoll.
„ Als mir Morlet zum ersten Mal auffiel, konnte ich kaum glauben, dass er wirklich ein Hüter sein sollte. Ich kenne mich weder mit der Entstehung dieser besonderen Vampire aus, noch weiß ich wirklich viel über deren Leben und Wirken. Aber eines wusste ich mit Sicherheit ... dass ihnen die Existenz anderer Vampire heilig sein sollte, und dass sie keine Menschenleben selbst auslöschen, sondern sich nur von Blut nähren, das sie aus einem Gefäß zu sich nehmen, doch niemals direkt aus einem sterbenden Körper. Nun, Morlet hat gegen beide Regeln innerhalb einer einzigen Nacht verstoßen, und so kam es, dass ich gleich zwei Leichen auf einmal ihrer neuen Bestimmung zuführen musste.“
„ Er hat in einer einzigen Nacht einen Vampir und einen Menschen getötet?“, fragte ich, nur um sicherzugehen.
Das Mädchen nickte.
„ Weißt du was passiert, wenn ein Hüter seine Nahrung direkt aus einem Menschenkörper trinkt?“, fragte der Tod mit düsterer Stimme. Ich schüttelte den Kopf.
„ Er verliert seinen Status. Wie ich dir schon sagte, gab es einige, die sich daraufhin selbst töteten. Denn wenn ein Hüter seinen Status verliert, ist er nicht mehr in der Lage, euch zu beschützen. Und das ist das Schrecklichste, was ihnen passieren kann. Morlet hingegen versuchte seine Schmach zu vertuschen. Ich werde dir erzählen was passiert ist in jener Nacht, in der ich ihn hassen lernte.“
Ich war aufgrund dieser Worte wie elektrisiert. Der Tod hatte Morlet hassen gelernt?
„ Vielleicht ahnst du es schon, vielleicht aber auch nicht. Es sind die Erinnerungen des Mädchens, auf die ich zurückgreife. Und sie sind nicht schön. Aber wie ich dir schon sagte, war es sehr tapfer.“
Der Tod spielte mit dem nun geöffneten Haar des Kindes, indem er sich eine Strähne gedankenverloren um den Finger wickelte.
„ Da war ein Vampir namens Clement LeBlanc. Er gehörte einer wohlhabenden Familie mit einer ehrwürdigen Ahnenreihe an. An jedem Freitagabend ließ er sich aus den umliegenden Siedlungen ein Kind bringen, um ein Festmahl zu begehen.“
„ Ich glaube, ich möchte die Geschichte doch nicht hören“, brachte ich hervor.
„ Natürlich nicht. Aber das macht sie nicht ungeschehen. Und du bist wohl der Letzte, dem ich die Gepflogenheiten der Vampire erklären muss.“ Der Tod sah mich mit einem spöttischen Lächeln an.
Ich verzog das Gesicht zu einer schmerzerfüllten Maske. Es steht einem Mörder wie mir wohl einfach nicht zu, die Ohren vor etwas verschließen zu wollen, das gar nicht so weit von dem entfernt ist, was er selbst verbrochen hat. Und dennoch ... ich musste etwas klarstellen.
„ Ich habe mich nie an Kindern vergriffen! Es sind diese Snobs unter uns, die glauben, ihnen stünde es zu, Leben zu vernichten, das nie eine Chance hatte, sich zu entfalten.“
„ Und du tötest Menschen, die in der Blüte ihres Lebens stehen und die nie eine Chance haben alt zu werden“, konterte der Tod
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