Verräterherz (German Edition)
Um mich herum wurde gehupt und geflucht – ich passte mich dem Verhalten an und alles war in Ordnung. Ich fuhr zum Friedhof Père Lachaise. Er wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtet und einige Berühmtheiten fanden dort ihre letzte Ruhestätte. Es schien mir ein guter Platz für mein Opfer zu sein, dem ich großen Respekt entgegenbrachte, auch wenn dies für dich geradezu zynisch anmuten muss.
Im Schutze der Dunkelheit schaffte ich den Körper aus dem Auto, die Schaufel klemmte ich zwischen mich und den Leichnam, was kein leichtes Unterfangen war. Ich bin nicht gerade schwächlich, aber ich muss sagen, dass es sich um eine ziemlich unhandliche Aktion handelte. Und so war es auch eine Erleichterung, als ich die breiten Wege verlassen konnte, um mich auf den kleineren nach einem geeigneten Ort umzusehen. Ich ging an einigen Mausoleen vorbei, bis ich zwischen den hohen Bäumen eine Stelle fand, die mir passend erschien. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man selbst in der Dunkelheit überaus gut sieht, während Menschen eher hilflos der nächtlichen Umarmung ausgeliefert sind. So konnte ich gut überblicken, ob sich jemand näherte. Aber alles blieb ruhig, während ich meine Arbeit erledigte. Das dauerte schon eine gewisse Zeit, doch ich hatte für diese Nacht ohnehin nichts mehr geplant. Ich schaufelte ein Grab, das Leon-Joel Fenouillets letzte Bleibe werden sollte. Ich gebe zu, dass es etwas schmucklos aussah, weil mir der übliche Tand fehlte, den Menschen so gerne dazu benutzen, um ein Loch, das in Dreck gebuddelt wurde, zu einer ansehnlichen letzten Ruhestätte zu machen. Nachdem ich den toten Körper so ehrfurchtsvoll wie möglich in das Grab gebettet hatte, setzte ich mich einem immensen Risiko aus, indem ich zum Auto zurücklief und die Packungen mit dem Kaffee holte. Natürlich war es recht unwahrscheinlich, dass jemand in der Zwischenzeit des Weges kam und das geöffnete Grab entdeckte, doch ich war froh, als ich wenig später sah, dass alles gut gegangen war. Ich kniete mich an den Rand und ließ die vakuumverschlossenen Packungen neben meinen Literaten fallen. Dann verschloss ich das Grab, um es schließlich mittels meiner Kräfte altern zu lassen.
Warum ein Vampir diese Gabe besitzt, darüber kann ich nur spekulieren. Ich vermute, dass es damit zusammenhängt, dass wir selbst nicht altern. Es ist in etwa so, wie in der Geschichte „Das Bildnis des Dorian Gray“, die ich inzwischen gelesen habe. Also, ich vermute, da wir selbst nicht älter werden, können wir verursachen, dass dies mit Gegenständen geschieht. Als Ausgleich sozusagen. Doch wie ich dir bereits versicherte, fehlt mir zur Entschlüsselung solcher Geheimnisse immer noch das Handbuch für Vampire. Nun, wie dem auch sei, das Grab sah binnen kürzester Zeit nicht mehr frisch aus, denn eine neue Erdschicht aus verrotteten Blättern und Ästen war darüber gelegt und so viel Gras auf dieser gewachsen, dass nichts mehr darin erinnerte, dass dort jemals ein Loch gegraben worden war. Einen Grabstein konnte ich ihm natürlich nicht zukommen lassen, aber ich finde, dass solche Dinge von Menschen auch schlicht überbewertet werden.
Ich verließ den Friedhof und mir war klar, dass ich einen wirklich interessanten Menschen um seine Zukunft betrogen hatte. Darauf bin ich nicht stolz! Ich denke, das solltest du wissen.
~ღ~
Es wird Zeit, dir von meinem zweiten Plan zu berichten, den ich in der Bibliothek geschmiedet hatte. Und wie ich bereits erwähnte, war dieser noch viel verwegener, als die nächtliche Aktion auf dem Friedhof. Denn nachdem ich die Bücher in der Bibliothèque nationale de France weitestgehend erfolglos gewälzt hatte, war mir der Gedanke gekommen, dass ich über die Geheimnisse der Hüter nur etwas erfahren konnte, wenn ich mich bei einem solchen Wohltäter der Vampirgesellschaft selbst informieren würde. Aber natürlich ging das nicht so einfach, und in meiner neuen Position schon überhaupt nicht mehr. Endlich wurde mir auch vollends klar, wie dumm ich in meiner Rache an Morlet gewesen war. Und dies nicht nur, weil ich einen Hüter gemeuchelt hatte, sondern weil ich nicht die Chance genutzt hatte, mich bei ihm näher umzusehen. Doch damals bestand dazu eigentlich auch kein Grund. Umso mehr hingegen nun, da ich wusste, dass ich so vieles eben nicht wusste.
Bis man mir in meiner neuen Gestalt auf die Schliche käme, würde bestimmt noch einige Zeit vergehen ... so hoffte ich zumindest. Natürlich war dies eine
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