Verräterherz (German Edition)
törichte Vermutung, doch gibt es selbst in meinem Dasein zuweilen Strohhalme, an die ich mich klammere.
Ich entschied also, meine unverhofften Fahrkünste zu nutzen, um erneut dem Antiquitätenladen von Morlet einen Besuch abzustatten. Ich war nicht sonderlich überrascht, dass er kaum verändert aussah. Sogar das Glöckchen hieß mich mit seinem vertrauten Geräusch willkommen. Der gleiche muffige Geruch umfing mich, und die stummen Zeugen meiner Tat fristeten immer noch, auf einen Käufer wartend, ihr Dasein im Laden. Vielleicht war inzwischen auch etwas verkauft worden, aber ich erkannte keinen Unterschied. Und geradezu grotesk war die Tatsache, dass sogar der Dolch, mit dem ich Morlet gequält hatte, wieder an seinem Platz hing.
Als sich etwas an der Tür zum Büro regte, wandte ich meinen Blick rasch auf eine Porzellanpuppe, die mich pausbäckig und mit unnatürlich glänzendem Gesicht ansah. Die Augen wirkten lebhaft. Ich stellte mir vor, wie sich Morlets eigene, von Panik erfüllt, darin gespiegelt haben mussten, als er begriffen hatte, dass ich um seine Warnungen nichts gab, sondern ihn dafür bestrafen würde, was er mir angetan hatte. Die Puppe schwieg jedoch, und so lange es mir möglich wäre, würde auch ich zu den Vorgängen dieses verhängnisvollen Tages schweigen.
„ Möchten Sie sich nur umsehen oder kann ich Ihnen helfen, Monsieur?“ Ich wandte mich zu der Frau um, die mir diese Frage gestellt hatte. Sie betrachtete mich durch eine rahmenlose Brille hindurch, ihre Gesichtszüge wirkten entspannt. Das Haar trug sie halblang, es war ergraut, ihre Kleidung hatte eine schlichte Eleganz. Insgesamt hatte Madame Morlet eine freundliche Ausstrahlung, was mich ein wenig aus der Bahn warf, wie ich zugeben muss. Ich war mir jedoch vollkommen sicher, dass es sich um die Ehefrau meines Mörders handelte, denn sie trug den gleichen Ehering wie er ihn getragen hatte. In einer kurzen geistigen Rückblende sah ich vor mir, wie Morlet seine Finger verzweifelt in mein Hemd gekrallt hatte, während ich eine noch nicht durchstoßene Stelle zwischen seinen Rippen suchte, um ihn mit einem neuerlichen Angriff zu traktieren. Mit Hass hatte ich nicht nur ihn, sondern alle Vampire betrachtet, die ihn gekannt hatten. Nun jedoch, als Madame Morlet mich knapp anlächelte, kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht Kummer über sie gebracht hatte, den sie nicht verdiente. Sofort schwenkte der Gedanke an meine Mutter, über die ebenfalls Leid gebracht worden war, und ich begriff, dass jede gewaltsame Tat weit mehr Opfer forderte, als den Angegriffenen selbst. Man meuchelt nicht nur denjenigen, den man zwischen den Fingern hat, sondern immer auch jene, die in seinem Umfeld lebten. Den einen mehr und den anderen weniger. Ich begann mich zu fragen, wie sehr Madame Morlet wohl unter dem Tod ihres Mannes litt.
Ich lächelte ebenfalls knapp, dann sagte ich mit einfühlsamer Stimme: „Ich hörte, dass Ihr Mann erst vor kurzem von uns gegangen ist.“ Das ‚uns’ betonte ich auf eine Art und Weise, die für sie nur einen einzigen Schluss zuließ.
„ Sie sind ein Vampir?“, fragte sie dann auch sehr leise, ihre Miene zeigte Anerkennung.
„ Ja, das bin ich. In meiner Position lege ich sehr viel Wert auf Diskretion, daher freut mich Ihr Erstaunen, wenn ich so ehrlich sein darf.“ Ich gab mich ein wenig selbstgefällig, da ich fand, dies würde zu meiner selbst gewählten Rolle gut passen.
„ In Ihrer Position? Und die wäre?“, fragte sie interessiert, aber auch ein wenig misstrauisch.
Ich war froh, dass Jules Fordants Kleiderschrank einen Anzug zu bieten gehabt hatte, der mir meinen Auftritt zumindest etwas erleichtern würde. Nun bemühte ich mich um ein geschäftsmäßiges Auftreten, das doch auch einen Touch Vertraulichkeit enthalten sollte.
„ Mein Name ist François Brasseur. Ich bin der Anwalt der Familie Marais.“
Ich hatte mir meine Version natürlich vorher zurechtgelegt und war froh, dass mir die Geschichte, die sich bei den Ribauds zugetragen hatte, noch so präsent war. Es musste ein Vertrauensverhältnis zwischen den Morlets und den Marais’ bestanden haben, sonst hätte mein Mörder wohl kaum Jaqueline Marais um den Gefallen gebeten, ihm bei einem Ritual behilflich zu sein. Aber ich hatte natürlich keinen Schimmer, wie die beiden Familien inzwischen zueinander standen. Ich wollte es jedoch darauf ankommen lassen, denn ein bekannter Name würde mir entweder so viel Vertrauen einbringen, dass ich meinen
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