Verräterherz (German Edition)
die wohl besagtem Bestand meines Mörders entstammen musste.
„ Er war ein Genießer, trotz seiner erzwungenen Zurückhaltung. Wir haben so oft abends zusammengesessen und das Blut aus den Kelchen genossen, in dem Glauben, dass wir dies bis in alle Ewigkeit tun könnten. Die Ewigkeit hat jedoch ein jähes Ende gefunden, und ich möchte mit Ihnen darauf anstoßen, dass sein Mörder bald gefasst wird und dieser seiner gerechten und qualvollen Hinrichtung zugeführt wird.“
Ich hob mein Glas, ich nickte, ich trank.
Ich trank auf meine eigene Hinrichtung und auf das Gedenken eines Mannes, der selbst so viel Schande über sich gebracht hatte, wie ich es noch nie zuvor bei einem Vampir erlebt hatte. Menschen sind fähig zu morden, aus Gier, aus Habsucht, aus Rache und Eifersucht. Doch ein Vampir tötet aus Hunger. So sah ich es stets. Aber Morlet hatte reihenweise Morde begangen, um sich gegen die Regeln seines Standes auf geradezu verwerfliche Weise zu sättigen. Er hatte seine Opfer bestohlen und ihr Hab und Gut für die Mehrung seines eigenen Reichtums verwendet. Er hatte weder vor Vampiren Halt gemacht, noch vor einem Kind, das er auf so bestialische Weise gemeuchelt hatte, dass sogar der Tod selbst dies nicht als Gegebenheit akzeptieren konnte.
Ich weiß, dass auch ich dir wie ein Dieb erscheinen muss. Als ich Fordant tötete, geschah es in der Absicht, dessen Körper und Leben zu übernehmen. Seine Wohnung, sein Auto, sein Konto ... all seine Besitztümer gehörten ab diesem Zeitpunkt mir. Und doch sehe ich es in meinem Falle eher als eine Art Notwehr an. Ich musste töten, um zu überleben. Morlet hingegen tötete aus reinem Vergnügen und aus Habsucht. Und er machte sich aus dem Staub und gaukelte seinem Umfeld das treue und brave Leben eines Hüters vor, während ich hingegen ständig mit der Angst leben muss, entdeckt und enttarnt zu werden. Und diesmal meine ich nicht nur meine Furcht vor der Vampirgesellschaft, für die ich nun vogelfrei geworden bin, sondern ich meine auch die Problematik, die es mit sich bringt, wenn man allzu lange in die Rolle eines Fremden schlüpft.
So war es mir erst am Morgen passiert, dass eine junge Frau vor der Tür stand. Sie hatte mehrfach laut geklopft und ich war gezwungen zu öffnen, denn sie rief: „Ich weiß, dass du da bist. Mach die Tür auf, Jules!“
Natürlich hätte ich am liebsten vorgegeben, ich sei nicht zuhause, doch sie hörte sich weder so an als würde sie das glauben, noch, als würde sie sich in absehbarer Zeit wieder entfernen. Ihre Stimme hallte durch den ganzen Flur und sie rief damit für meinen Geschmack viel zu viel Aufmerksamkeit hervor. Also öffnete ich die Wohnungstür und blickte sie finster an. Eine junge dunkelhaarige Frau stand mir gegenüber. Sie sah verweint aus. Jetzt erkannte ich, dass ihre wütende Stimme eher einer tiefen Verzweiflung entsprungen sein musste, denn sie bat mich eindringlich darum, ihr noch einmal zu verzeihen und gab zu bedenken, dass Philippe ihr nie wirklich etwas bedeutet habe.
Ich dachte kurz nach. Sie roch gut – aber auch ziemlich pessimistisch. Wie erkläre ich dir am besten, wie jemand riecht, der pessimistisch ist? Nun, ich denke, man könnte sagen, dass sie ein wenig säuerlich roch; ein Hauch von vergorener Milch vielleicht, der den sonst verlockenden Geruch trübte, und mir dadurch den Appetit verdarb.
Wie du dir vermutlich denken kannst, erlebe ich recht selten so eine Situation, wie die, die sich vor meiner Tür abspielte. Um ganz ehrlich zu sein, war es sogar das erste Mal, dass eine Frau mich bat, eine Beziehung zu ihr aufrechtzuerhalten. Und doch war mir klar, dass sie natürlich nicht mich meinte, sondern Jules Fordant, der bereits in seinem Grab wieder zu einem Teil der Natur wurde. Also entschied ich mich, die Sache so kurz wie möglich zu gestalten. Ich sagte ihr, dass ich ihr niemals verzeihen würde und sie mit Philippe glücklich werden sollte. Dann schloss ich die Tür. Sie schlug noch drei oder viermal dagegen, bat, weinte und bettelte - ich spielte mit dem Gedanken, sie trotz ihres Beigeruchs von ihrem Elend zu erlösen. Dann ging sie schließlich, nachdem sie durch die Tür geschrieen hatte, dass sie mich nie mehr wiedersehen wollte. Das war mir recht und ich atmete erleichtert durch.
~ღ~
Aber ich schweife schon wieder ab.
Als ich also mit Madame Morlet auf meine eigene Hinrichtung angestoßen hatte, stellte ich den Kelch entschieden auf das Tablett zurück und sagte: „Ein
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