Verräterische Lippen
vielleicht gar nicht so unrecht hatte. Vor drei
Tagen noch hatte ich in meinem Büro mit Blick auf die Golden-Gate-Brücke
gesessen und mein Glück gepriesen. Da hatte ich mir einen Auftrag verschafft,
der mich nach Südamerika führen sollte — ins Land des Lachens, des
Sonnenscheins und der braunhäutigen Frauen. Und ich brauchte für fünfzigtausend
Dollar Honorar nicht mehr zu tun, als ein paar Tage hart zu verhandeln!
Ich
ließ mich wieder auf meinen Strohsack sinken. Die Holzpritsche darunter begann
mich allmählich wundzuscheuern . Aber das war nicht
das einzig Unangenehme an meiner Situation.
Nach
etwa einer halben Stunde stand ich auf und zog an der Tür. Der dünne Mann hatte
sie nicht richtig zugemacht. Ich spähte in den menschenleeren Flur. Die Zeit
wurde immer knapper, und meine Geduld war auch bald am Ende. Deshalb trat ich
entschlossen hinaus und zog die Tür hinter mir zu. Da sich an dem einen Ende
des Ganges der Raum befand, in dem mich der kleine Mann mit den schlaffen
Wangen verhört hatte, entschied ich mich für die entgegengesetzte Richtung und
gelangte an eine unverschlossene Tür.
Nach
kurzem Zögern riß ich sie auf. Draußen überquerte Marguerita Mendez mit
schnellen Schritten einen ungepflasterten Hof. Mein altruistischer Freund
folgte ihr dicht auf den Fersen. Er hielt ein Messer in der Hand, das ziemüch genau demjenigen glich, das er mir zuvor gegeben
hatte.
Als
sie näherkamen, trat ich in den Gang zurück. Der dünne Mann schloß die Tür mit
einem Tritt hinter sich.
»Wie
ich sehe, haben Sie auch ein Messer für die Señorita«, bemerkte ich.
Er
blickte darauf nieder. »Ja«, meinte er lächelnd. »Aber ob sie das brauchen
wird, Señor Roberts, wenn Sie bei ihr sind, um sie zu beschützen?«
Marguerita
streckte die Hand aus. »Vielleicht müssen wir uns einen Weg durch den Dschungel
schneiden. Da könnte das Messer nützlich sein .«
Sie
wechselten Blicke. Dann reichte er es ihr zögernd. Mir fiel auf, daß die
Señorita eine hautenge Khakihose trug, dazu eine passende Bluse und einen
braunen, breitkrempigen Hut. Das Haar hatte sie unter dem Hut hochgesteckt, was
ihr Gesicht kantiger und herber wirken ließ.
»Wie
kommen wir weg, ohne vom Haus aus gesehen zu werden ?« fragte ich sachlich.
»Es
sind im Augenblick nur wenige Leute da«, erklärte mein Freund, »und die passen
nicht auf. Wenn Sie hinausgehen, halten Sie sich rechts. Der Dschungel beginnt
schon nach etwa dreißig Metern. Sie können dieses Gebäude hier als Deckung
benützen. Wenn Sie die Bäume erreicht haben, gehen Sie nach Süden .«
»Sie
sind mir wirklich eine große Hilfe gewesen«, sagte ich mit Nachdruck. »Ich weiß
zwar noch immer nicht, warum Sie uns helfen, aber ich bedanke mich trotzdem
vielmals .«
»Keine
Ursache, Señor Roberts.«
»Und
wohin soll ich das Geld schicken ?«
Er
lächelte. »Ich lasse es von meiner Schwester abholen .«
»Gemacht«,
entgegnete ich enthusiastisch. »Das heißt, falls wir nicht unterwegs von einem
Jaguar verspeist werden .«
»In
dem Dschungel hier gibt es keine Jaguare, Señor. Unsere Katzen haben verborgenere Krallen .« Er
schüttelte mir die Hand. »Ich wünsche Ihnen Glück«, sagte er feierlich. Dann
öffnete er die Tür und verbeugte sich galant vor Marguerita. »Sie haben die
Señorita schon einmal befreit. Werden Sie gut aufpassen, daß sie Ihnen im
Dschungel nicht abhanden kommt? Es wäre ein Jammer, wenn Sie Ihre
Rettungsaktion zum drittenmal wiederholen müßten .«
Ich
grinste, aber seine Miene blieb ernst. In seinen dunklen Augen lag sogar ein
fast flehender Ausdruck.
»Wenn
wir abhanden kommen sollten, dann nur zusammen«, versprach ich ihm.
Er
entfernte sich nickend in Richtung auf das Haus, während wir uns seitlich in die
Büsche schlugen. In dem feuchten, grünen Halbdunkel des Dschungels fühlte ich
mich gleich bedeutend besser. Ein paar Minuten lang horchte ich gespannt auf
einen möglichen Alarm, aber es war nichts zu hören außer dem Kreischen von
Papageien und dem lauten Rascheln des Unterholzes, durch das wir uns den Weg
bahnten. Ich überprüfte den Kompaß und schlug südliche Richtung ein.
Der
schwammige Boden war feucht und modrig, aber es ließ sich gut darauf laufen.
Der Dschungel war nicht, wie das Romanautoren im allgemeinen zu behaupten pflegen, undurchdringlich. Wir kamen im Gegenteil ziemlich rasch
voran, und das Hauptproblem war festzustellen, wann wir wohl zwei Meilen
zurückgelegt hatten. Obwohl der Dschungel nicht
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