Verräterische Lippen
ich mir selber überlegen, wie ich nach Santango gelange .«
»Wir
sind hier etwa dreißig Meilen von der Stadt entfernt«, erklärte er eifrig. »Und
etwa fünf Meilen von der Hauptstraße. Diese Ranch gehört einem hohen Offizier .«
»Nicht
zufällig General Ortez ?«
Er
schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dem General, Señor Roberts. Dieser Mann ist
ein Oberst .«
»Wie
schaffe ich es bis zur Hauptstraße ?«
»Es
gibt einen unbefestigten Weg. Aber wenn Ihre Abwesenheit bemerkt wird, ist
dieser Weg nicht mehr sicher. Sie müssen durch den Dschungel .«
»Den
Dschungel?« Ich starrte ihn ungläubig an. »Bis jetzt habe ich das Land
praktisch nur als Wüste erlebt. Und Sie sagen, wir sind nur etwa dreißig Meilen
von Santango entfernt ?«
»In
entgegengesetzter Richtung von der Stelle, wo Sie gefangengenommen wurden. Sie
befinden sich jetzt nördlich der Stadt. Wie ist Ihr Orientierungssinn ?«
»Wenn
ich eine Karte habe, finde ich mich überall zurecht. Sonst bin ich ein
hoffnungsloser Fall .«
Er
musterte mich mit einem Blick, als wünsche er, ich möge wenigstens ein Talent besitzen, das ihm seine Aufgabe erleichterte. Dann griff er in seine
Hosentasche und brachte einen Kompaß zum Vorschein, den er mir gab.
»Gehen
Sie nach Süden, in so gerader Richtung wie möglich, dann wenden Sie sich nach
etwa zwei Meilen östlich. Sie werden oberhalb der Stelle auf die Hauptstraße
stoßen, wo der Weg von dieser Ranch einmündet. Sollte es Ihnen gelingen, von
einem vorbeifahrenden Auto mitgenommen zu werden, können Sie sich verstecken,
indem Sie sich auf den Boden kauern. Ich glaube nicht, daß ein Suchtrupp einen
Privatwagen anhält. Versucht er das aber doch —«, er griff in seine andere
Tasche und zog ein Messer mit kurzer Schneide heraus, »dann können Sie den
Fahrer hiermit überzeugen, daß es besser ist, nicht anzuhalten .« Er grinste entschuldigend. »Es tut mir leid, daß ich
Ihnen keine Pistole geben kann, aber ich...«
»Ich
weiß. Sie waren nicht vorbereitet. Trotzdem vielen Dank.« Ich nahm das Messer.
»Jetzt brauche ich nur noch eine Kleinigkeit .«
»Ja?«
»Señorita
Mendez.«
Er
sah mich verblüfft an. Offenbar konnte er Yankees nicht begreifen, die Fragen
von Leben und Tod nicht ernst nahmen. Es hatte keinen Zweck, ihm meine
Psychologie zu erläutern — ich verstand sie selber nicht ganz.
»Oder
wartet sie zufällig schon draußen vor der Tür ?«
»Die
Señorita ist im Wohnhaus«, antwortete er. »Sie selbst befinden sich hier in
einem Anbau«, fügte er hinzu.
»Etwa
dem Stall?«
»Nein.
Diese Räumlichkeiten wurden für politische Gefangene gebaut. Die Tiere sind
besser untergebracht .«
Das
erklärte das Fehlen von Fenstern, die Holzpritschen und die mangelhaften
sanitären Einrichtungen. Es beruhigte mich jedoch zu wissen, daß der Oberst,
wer er auch war, wenigstens für seine Tiere sorgte.
»Also,
dann gehen wir jetzt und holen die Señorita«, meinte ich impulsiv. »Wie lange
wird es denn noch dauern, bis sie kommen, um mir die Augen zu verbinden und
mich nach Santango zurückbringen ?«
Er
leuchtete mit der Taschenlampe auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es fünf Uhr«,
sagte er.
»Nachmittags ?« fragte ich überrascht.
Er
nickte. »Es besteht die Absicht, um acht mit Ihnen aufzubrechen. Sie haben also
drei Stunden. Mit etwas Glück reicht das, die Hauptstraße zu erreichen und
wegzukommen, bevor Ihre Abwesenheit bemerkt wird .«
Ich
steckte das Messer in meinen Gürtel und machte ein paar Schritte auf die Tür
zu.
Er
vertrat mir den Weg und hielt mich am Arm zurück. »Ich werde die Señorita
hierherbringen«, erklärte er ruhig. »Sie könnten nicht ungesehen ins Wohnhaus
gelangen .«
»Warum
haben Sie das nicht gleich gesagt ?« fragte ich unwillig.
»Nun hatte ich mich schon seelisch darauf vorbereitet, mich nur mit einem
Messer in der Hand durch ein Dutzend bewaffneter Banditen durchzukämpfen und
wenn nötig mein Leben für die Señorita und die Republik zu opfern!«
Er
betrachtete mich befremdet.
»Holen
Sie endlich das Mädchen !« forderte ich ihn auf.
Er
öffnete die Tür und ging hinaus.
»Und
sehen Sie zu, daß Sie auch ihre Kleider finden«, rief ich ihm nach. »Sonst
dürfte es peinlich werden, wenn wir ein Auto anhalten .«
Er
warf mir einen Blick zu, als hielte er mich für völlig übergeschnappt, und
schloß die Tür.
Ich
starrte auf die rohen Holzbretter, die mit Eisenbändern zusammengehalten waren,
und kam zu dem Schluß, daß er
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