Verräterisches Profil
Türklinke hinunter.
Der Lichtstrahl meiner Taschenlampe fällt auf ihr Bett. Ich brauche einen Moment, um zu registrieren, dass es leer ist.
Fast im gleichen Augenblick höre ich das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Viel zu langsam drehe ich mich um. Eine Gestalt reißt die Appartementtür auf. Ich benötige eine Ewigkeit, um die Schockstarre abzuschütteln und ihr hinterherzuhetzen. Als ich ihre Wohnung verlasse, befindet sich Kitty bereits auf dem Treppenabsatz nach oben. Sie schreit lautstark um Hilfe. Ich habe es vermasselt.
Der Aufzug steht noch im vierten Stock. Ich hechte hinein, drücke ungeduldig den ›E‹-Knopf. Die Fahrt kommt mir unendlich lang vor. Die Ledermaske auflassend, ziehe ich meine Pistole. Sollte sich mir jemand in den Weg stellen, knalle ich ihn ab.
Die Aufzugstür gleitet auf, ich springe hinaus. Mit drei Schritten bin ich an der Ausgangstür. Ich laufe dreißig, vierzig Meter, niemand begegnet mir. Erst jetzt stecke ich die Waffe weg und reiße mir die Maske vom Kopf. Mit gesenktem Blick renne ich die Straße entlang. Zwei Fahrzeuge kommen mir entgegen, doch ich glaube nicht, dass die Fahrer Notiz von mir nehmen.
Endlich erreiche ich mein Auto, schließe auf, springe hinein.
Ich bin noch einmal davongekommen. Aber beinahe wäre ich für meine Unbeherrschtheit bestraft worden und hätte es nicht anders verdient gehabt.
***
»Das war ein wirklich schöner Abend«, flüsterte Beate. »Schade, dass uns Ana in drei oder vier Stunden wecken wird.«
Zum ersten Mal seit einigen Nächten kuschelte sich seine Frau an ihn. Nach ihrem dienstlichen Gespräch mit Mark hatten sie es sich wieder zu dritt im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Um halb zwei hatte sich der Professor schließlich verabschiedet.
Erfreut spürte er, wie ihre Hand unter sein Schlafshirt glitt. Sie streichelte ihn am Bauch.
»Ja«, wisperte er. »So etwas sollten wir öfter machen.«
»Finde ich auch.«
Ihre Hand wanderte weiter nach unten, am Saum seiner Pyjamahose vorbei. Endlich war das nagende Gefühl, von ihr zurückgewiesen zu werden, vergessen. Beates Finger legten sich um die Spitze seines Penis und liebkosten ihn. Wie sehr hatte er ihre Berührungen vermisst. Viel zu selten waren sie seit Anas Geburt intim gewesen.
Plötzlich klingelte das auf dem Nachttisch liegende Diensthandy seiner Frau.
»Scheiße!«, fluchte Sebastian.
»Tut mir leid.«
Er antwortete nicht. Mittendrin aufhören zu müssen war schlimmer als gar nicht anzufangen.
Beate nahm das Gespräch entgegen, stand dabei auf und lauschte den Worten des Anrufers. Nach Beendigung des Telefonats zog sie sich schnell an.
»Dein Job macht momentan alles kaputt«, warf er ihr gekränkt vor.
»Es tut mir leid«, wiederholte sie matt.
Da er nichts darauf erwiderte, wünschte sie ihm lediglich eine gute Nacht, bevor sie das Schlafzimmer verließ.
***
»Warum haben Sie mir damals nicht Bescheid gesagt?«, schimpfte Beate.
Während einige Polizisten im Appartement nach Spuren des Eindringlings suchten, saß sie Katrin Golisch in dem Partyraum des Wohnheims gegenüber. Der Hausmeister war beim Eintreffen der Polizei wach geworden und hatte sich sofort bereit erklärt, ihnen den Gemeinschaftsraum aufzuschließen. Er hatte ihnen sogar zwei Tassen herrlich duftenden Kaffee serviert.
»Ja, das war ein Fehler«, schluchzte Katrin. »Aber ich wollte nicht den Lockvogel spielen. Seit jenem Abend habe ich meine Dienste nicht mehr im Internet angeboten. Woher sollte ich ahnen, dass er meine Adresse ausfindig macht?«
Beate blickte auf die Studentin, die jünger denn je wirkte. Ihre Wut verflog. Irgendwie konnte sie Katrin sogar verstehen.
»Sie haben nichts gesehen?«, vergewisserte sie sich.
»Nein. Ich habe die Badezimmertür aufgerissen und bin im Dunkeln hinausgerannt.«
»Wir müssen Sie unter Polizeischutz stellen.«
Mit einem Nicken erteilte Katrin ihr Einverständnis.
Beate griff nach ihrem Handy. Vielleicht gab es ja noch eine Chance. Nach dem zehnten Klingeln ertönte Meiers schläfrige Stimme. Sie erläuterte ihm kurz den Sachverhalt und erkundigte sich nach der Möglichkeit, herauszufinden, von welchem Internetanschluss Katrins Dienste an einem bestimmten Tag in Anspruch genommen worden waren. Meiers Antwort klang nicht ermutigend, nachdem er erfahren hatte, wie viele Wochen seitdem vergangen waren.
14
Sylvia Schulte, eine Polizeibeamtin, die kürzlich ihre Ausbildung mit Bestnoten abgeschlossen hatte, war seit dem späten Nachmittag
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