Verräterisches Profil
Weiteren«, meinte Beate, »schalten wir das Jugendamt ein. Das veranlasse ich Montagmorgen. Man wird sich dann mit Ihnen in Verbindung setzen.«
»Sollte ich mir Urlaub nehmen?«
»Eine großartige Idee«, bekräftigte Dr. Göltz. »Lässt –«
Plötzlich drang lautes Weinen zu ihnen.
»Eileen! Wo ist sie?«, fragte Hill besorgt.
Die Ärztin stand gemeinsam mit Beate auf und brachte ihn zu seiner Tochter.
»Papi!«, schluchzte diese verzweifelt bei seinem Anblick.
Er eilte zu ihr und nahm sie in die Arme. Während ihr zierlicher Körper von Weinkrämpfen geschüttelt wurde, tröstete er sie.
»Ich bin ja da, mein Engel. Papi ist für dich da.«
***
Nach seiner Rückkehr vom Tatort am Sonntagvormittag war nicht an Schlaf zu denken gewesen. Mark lief in seinem Hotelzimmer unruhig auf und ab. Seine Auswertungen hatten zu einer schockierenden Schlussfolgerung geführt.
Ein letztes Mal überprüfte er sie.
Hills Familienglück war durch seine ehemalige Frau zerstört worden. Hatte das womöglich einen verheerenden Frauenhass in ihm ausgelöst?
Gedankenverloren rieb Mark an seinem linken Ohrläppchen. Die Überprüfung von Verdächtigen anhand des empirischen Täterprofils hatte keinerlei Beweiswert. Nur weil jemand mit dem Fahndungsraster weitestgehend übereinstimmte, musste er nicht zwangsläufig ein Mörder sein. Doch Hill wies erstaunlich viele Übereinstimmungen auf. Etwa hinsichtlich des Merkmals, dass drei Viertel der Serienmörder zur Tatzeit einer unterprivilegierten oder nicht privilegierten beruflichen Tätigkeit nachgingen. Genau wie einige weitere Punkte. Beispielsweise wohnte Hill in einer Großstadt und von jedem Tatort weniger als dreißig Kilometer entfernt.
Andere Charakteristika musste er sowohl als abweichend wie auch als zutreffend werten, da sich keine Gelegenheit ergeben hatte, sie konkret zu erfragen. So kam er bei der Berechnung auf einen Maximalwert von fünfundachtzig Prozent.
War Hill ein Mehrfachmörder, der durch die Taten das Sorgerecht für seine Tochter bekommen wollte? Ein Mörder, der ein klares Ziel verfolgte und nicht nur kranke Fantasien auslebte? Hatte er eine Mordserie inszeniert, um nicht als Hauptverdächtiger im Rampenlicht zu stehen? Hatte er zu diesem Zweck zwei unschuldige Familien ausgelöscht?
Hier schloss sich der Kreis zum psychologischen Profil. Mark unterstellte dem Täter Hass auf intakte Familien und auf Frauen. In den vorangegangenen Mordnächten hatte er diese Hassgefühle ausleben können. Der fehlgeschlagene Angriff auf die Internetstripperin war diesbezüglich ebenfalls von Bedeutung.
Ob die Kommissare Hill als potenziellen Verdächtigen in Erwägung zogen?
Um nicht überstürzt einen Anruf zu tätigen, ging Mark ins Hotelrestaurant, wo er einen doppelten Espresso trank, der die Müdigkeit ein Stück weit vertrieb. Danach wählte er Beates Handynummer.
»Ist dir aufgefallen«, erkundigte er sich, kaum dass sie sich gemeldet hatte, »wie brutal die Frau diesmal misshandelt wurde? Vielleicht eine Steigerung während einer Mordserie, was häufiger vorkommt. Oder der Mörder hat bei dieser Tat besonders großen Hass empfunden. Ich habe Hill anhand des empirischen Täterprofils überprüft.«
19
Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit klopfte es an der Tür. Sie war allein im Büro, da Robert eine Zeugenbefragung in einem anderen Ermittlungsverfahren durchführte.
»Herein«, rief Beate, und begrüßte anschließend Norbert Hill.
»Wie geht es Ihrer Tochter?«, fragte sie, nachdem er Platz genommen hatte.
»Sie weint viel«, seufzte der Vater. »Allerdings meint Frau Dr. Göltz, dass es ihr in Anbetracht der Umstände sogar relativ gut geht. Sie ist ansprechbar und reagiert auf ihre Umwelt. Die Ärztin erzählte, manche Kinder, die in vergleichbaren Fällen ihre toten Eltern aufgefunden haben, seien für Monate oder Jahre apathisch gewesen.«
»Grauenhaft.«
Hill nickte. »Als meine Tochter sieben Monate alt war, musste Meike für eine Woche ins Krankenhaus. In dieser Zeit war ich für Eileen die einzige Bezugsperson. Ich musste immer in ihrer Nähe sein, denn sie verstand wohl nicht, warum ihre Mutter weg war, und hatte Angst, mich auch zu verlieren. Sobald sie mich nicht mehr sah, fing sie an zu weinen. Jetzt machen wir gerade Ähnliches durch.« Verstohlen wischte er sich eine Träne weg. »Entschuldigung.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich habe ebenfalls eine kleine Tochter.« Beate räusperte sich. »Hat Frau Rosenkreuz
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