Verräterisches Profil
mit den beiden Ermittlern saß er in einem Besprechungsraum, in welchem er diverse Bilder der einzelnen Tatorte an den Wänden befestigt hatte. Auf dem großen Tisch lagen die Berichte zu den verschiedenen Tatnächten.
Beate schaute ihn überrascht an. An ihrem Gesicht las er deutliche Skepsis ab.
Auch Robert schien keineswegs aufgeschlossen für diesen Gedanken zu sein. »Es fällt mir schwer, das zu glauben. Der Umstand, dass an sämtlichen Tatorten das gleiche Sperma gefunden wurde, lässt eigentlich keinen Irrtum zu.«
Mark nickte verständnisvoll. »Und wenn wir uns dieses Indiz einfach mal wegdenken?«
Robert schmunzelte. »Die Bezeichnung Indiz ist etwas schwach. Vor Gericht würde dieser Umstand als Beweis gelten.«
»Würdet ihr ohne ihn auf den gleichen Täter tippen?«
»Wohl kaum«, bestätigte Robert.
»In einem Fall sind dreiköpfige Familien die Opfer, im anderen ein homosexueller Geschäftsmann«, fügte Beate hinzu.
»Und das ist nur eine von zahlreichen Abweichungen«, begann Mark mit seiner Argumentation. »Der unterschiedliche Umfang an hinterlassenen Spuren deutet ebenso wenig auf einen Zusammenhang hin. In der Wohnung von Anders fand man Sperma, Blut, Fingerabdrücke, Haare. An den übrigen Tatorten lediglich Sperma. Der Täter im letzten Mordfall hat sich mit vollen Händen bedient, der Familienmörder hingegen nichts mitgehen lassen. Dann die Druckspuren am Hals des toten Mannes. Es wurde nicht versucht, ihm den Kehlkopf einzudrücken, die Stellen zogen sich über eine größere Hautfläche. Warum diese Abänderung eines erfolgreichen Vorgehens? Zudem passt der Wochentag nicht ins Bild. Und das sind bei Weitem nicht alle Unstimmigkeiten.«
»Du hast mit jedem Punkt recht«, sagte Beate. »Aber ist deine Schlussfolgerung deswegen richtig? Wie erklärst du denn die Sache mit dem Sperma?«
»Wenn wir dieses Rätsel gelöst haben, sind wir einen entscheidenden Schritt weiter«, antwortete Mark ausweichend.
»Mir ist heute Nachmittag ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Nehmen wir mal an, unser Täter arbeitet als Callboy. Vielleicht sogar nur gelegentlich, da du ja davon ausgehst, dass er einen regelmäßigen Job hat. Er verdient auf diese Art also etwas hinzu, und aus irgendeinem Grund kommt es zu einem Streit mit seinem Freier, bei dem er ihn unabsichtlich tötet. Wenn es diesmal Totschlag im Affekt war, könnte das die Abweichungen beim Tathergang und bei den gefundenen Spuren erklären«, meinte Beate.
»Diese Idee hatte ich auch schon«, entgegnete Mark. »Doch sie überzeugt mich nicht. Vor allem die nicht erfolgten Diebstähle bei den Familienmorden sprechen dagegen. Insofern bitte ich dich, nicht von vornherein die Möglichkeit unterschiedlicher Täter auszuschließen.«
Obwohl Beate nickte, befürchtete Mark, eigenhändig einen Beweis finden zu müssen, dass die Übereinstimmung des Spermas nicht das bedeutete, wonach sie aussah.
22
Beate saß allein auf der Terrasse ihres Hauses. Die von einem wolkenlosen Himmel scheinende Sonne verschwand langsam hinter einer Tanne des Nachbargrundstücks. Sie schloss die Augen und reckte ihr Gesicht den letzten Sonnenstrahlen entgegen. Dabei hielt sie ein halb gefülltes Proseccoglas in der Hand.
Sebastian war vor drei Tagen gemeinsam mit ihrer Tochter für eine Woche nach Leipzig gefahren, wo er einem alten Schulfreund und dessen Familie einen Besuch abstattete. Seit der nächtlichen telefonischen Unterbrechung hatte sich das Klima zwischen ihnen weiter abgekühlt. Daher war Beate froh, dass ihr Mann diese Ablenkungsmöglichkeit wahrgenommen hatte, obgleich sie die beiden vermisste.
Sie trank einen Schluck Prosecco und dachte an die Ermittlungen.
Mark musste sich einfach hinsichtlich seiner Theorie über zwei verschiedene Täter irren. Ebenso täuschte er sich, was die Verdächtigen anbelangte. Ihrer Meinung nach sprach alles für Jan Uhlich, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Großfahndung nach ihm erfolgreich sein würde. Bis sie endlich wieder ruhig schlafen konnte, befreit von der grausamen Last, die der Fall mit sich brachte.
Plötzlich klingelte das Festnetztelefon. Verwundert blickte sie auf die Uhr. Sebastian hatte bereits vor einer Dreiviertelstunde angerufen und dienstliche Gespräche landeten fast ausnahmslos auf ihrem Handy.
Beate erhob sich rasch und lief zum Telefon. Nach dem fünften Klingeln drückte sie den Annahmeknopf.
»Hallo?«
»Spreche ich mit Beate Bauer, geborene Lindemann?«, erkundigte
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