Verräterisches Profil
sich eine männliche Stimme, die ihr vage bekannt vorkam.
»Genau. Wer ist denn da?«
»Daniel Voss. Ich hoffe, du erinnerst dich an mich.«
»Daniel«, sagte sie überrascht. »Natürlich erinnere ich mich.« Sie hatte drei Jahre ihres Lebens mit ihm verbracht, bevor er Hals über Kopf verschwand und sie wegen eines Selbstfindungstrips verließ. Aber das war Jahre her. Zehn Monate nach der Trennung hatte sie Sebastian kennengelernt. »Wie geht’s dir?«
»So lala«, erwiderte er. »Kommt mein Anruf ungelegen?«
»Überhaupt nicht.«
»Ist es für deinen Mann in Ordnung, wenn du mit einem Verflossenen sprichst? Ich muss bekennen, dass ich in unserem alten Bekanntenkreis rumhorchen musste, um deine Telefonnummer rauszukriegen. Meinen Glückwunsch zur Geburt deiner Tochter.«
»Vielen Dank. Ich bin derzeit Strohwitwe. Was verschafft mir die Ehre deines Anrufs?«
»Verrückt, nicht wahr?«, antwortete Daniel nach ein paar Sekunden Schweigen. »Kaum geht in meinem Leben alles drunter und drüber, sehne ich mich danach, deine Stimme zu hören. Du bist die Frau in meiner Vergangenheit, mit der ich am meisten Kontinuität und Ruhe genossen habe.«
»Von genießen kann wohl nicht die Rede sein – so schnell wie du vor mir geflüchtet bist, als du dir wie in einem goldenen Käfig vorkamst.«
»Wie schon gesagt: verrückt.«
»Woher rufst du an? Ich weiß gar nicht, in welche Stadt es dich verschlagen hat.«
»Ich bin wieder in Bochum gelandet.«
»Wirklich?«, entgegnete sie amüsiert. »Wo du dich hier so eingeengt gefühlt hast und es dich in die richtigen Großstädte gezogen hat: Berlin, München –«
»Und Hamburg«, ergänzte er. »Rate mal, wo ich jetzt wohne.«
»Sag’s mir.«
»In Dahlhausen. Ungefähr einen Kilometer von der Straße entfernt, in der ich aufgewachsen bin.«
»Ich bin sprachlos. Aber überrascht hast du mich ja des Öfteren. Was ist denn in letzter Zeit bei dir so dermaßen schiefgelaufen, dass du deiner alten Heimat eine neue Chance gegeben hast?«
»Mein Leben«, erwiderte er frustriert.
»Willst du darüber reden?«
»Als du dich gerade gemeldet hast, hätte ich fast aufgelegt. Was erlaube ich mir? Zuerst verlasse ich dich, dann hörst du jahrelang nichts von mir und nun rufe ich dich an, weil es mir unfassbar mies geht. Ich würde es verstehen, wenn du mich hassen und einfach auflegen würdest.«
»Tja, den Gefallen tue ich dir nicht.«
»Seitdem ich deine Rufnummer habe, bin ich dieses Gespräch in Gedanken durchgegangen.« Plötzlich begann er zu weinen. »Es ist gut, dass ich angerufen habe. Doch ich weiß nicht, was ich sagen soll. Entschuldige bitte. Bis irgendwann.«
»Leg nicht auf«, rief Beate.
Tatsächlich blieb das von ihr befürchtete Besetztzeichen aus.
»Falls du am Telefon nicht über deine Sorgen reden kannst, komme ich zu dir. Nenn mir deine Adresse.« Daniel hatte vor ihrer Beziehung einmal versucht, sich mit einem Mix aus Schlaftabletten und Alkohol umzubringen. Beate sorgte sich, dass er verzweifelt genug sein könnte, um einen weiteren Versuch zu unternehmen.
Glücklicherweise verriet er ihr stockend seine Anschrift.
»Nicht heute«, fügte er hinzu. »So darfst du mich nicht sehen.«
»Passt dir morgen einundzwanzig Uhr?«
»Das wäre toll.«
»Mach bis dahin nichts Unüberlegtes.«
»Versprochen.« Ohne Abschiedsgruß beendete er das Telefonat.
***
Zwei Stunden lang lauschte sie am folgenden Abend seinen Problemen; hörte seiner Aufzählung zu, was bei ihm alles schiefgelaufen war. Und da kam einiges zusammen. Mittlerweile hatte sie großes Verständnis für den gestrigen Hilferuf.
Sie saßen sich in dem kleinen Wohnzimmer auf zwei schwarzen Sitzwürfeln direkt gegenüber, ihre Knie berührten sich leicht.
Daniel hatte keinen Wert darauf gelegt, die Wohnung gemütlich einzurichten. Lediglich ein paar vergrößerte und auf Leinwände gedruckte Fotografien verliehen dem Raum eine individuelle Note. Die schäbig wirkenden Möbel hatte er vom Vormieter übernommen; die Wände hätten dringend gestrichen, der Teppichboden gereinigt werden müssen.
»Du kannst froh sein, dass ich damals kopflos geflohen bin«, sagte er und schien zum Ende seiner persönlichen Niederlagen zu kommen. »An meiner Seite hättest du das Unglück wahrscheinlich genauso angezogen.«
»Gott bewahre«, schmunzelte Beate. Instinktiv breitete sie die Arme aus, denn sie ahnte, dass es ihm guttun würde, sich trösten zu lassen.
Er zögerte keine Sekunde, sondern
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