Verrat der Finsternis
wegen etwas, das zwischen Leuten passiert ist, die schon lange Zeit tot sind.“
„Ich hasse dich nicht“, erwiderte Aine reflexartig.
„Dann hilf mir! Bitte, Göttin.“
6. KAPITEL
„Hör auf, mich Göttin zu nennen!“, sagte Aine und ging langsam auf ihn zu.
„Ich weiß nicht, wie ich dich sonst nennen soll!“
„Aine. Ich bin eine Heilerin“, erwiderte sie kurz angebunden. Dann kniete sie sich vor sein verletztes Bein.
Als er plötzlich lachte, sah sie ihn erstaunt an. Was sie besonders überraschte, war die Tatsache, dass seine ansteckende Art sie mehr faszinierte, als ein erneuter Blick auf seine Fangzähne sie einschüchtern konnte.
„Eine Heilerin! Und ich dachte, mich hätte das Glück vollständig verlassen.“
Stirnrunzelnd schaute sie ihn an und dachte, dass Glück doch sehr relativ war. Dann konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe und eröffnete routiniert das Gespräch, mit dem sie Patienten für gewöhnlich ablenkte. „Wie ist das hier passiert?“
„Ich war dumm.“ Er atmete zischend ein, als sie mit der Untersuchung begann. Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß er hervor: „Ich weiß eigentlich, dass es nicht klug ist, in einen Graben voller Laub zu klettern. Aber ich war mit den Gedanken woanders und habe einen Fehler gemacht.“
„Woran hast du gedacht?“ Aine war fasziniert von Tegans Physiologie. Sein Bein schien menschlich zu sein, aber am Fuß hatte er Klauen statt Zehen. Der Anblick erinnerte sie an die alten Geschichten über Partholons vor langer Zeit ausgestorbene Drachen.
„An das hier“, sagte er und zeigte auf den dichten Kiefernwald, der sie umgab. „Es ist so grün und lebendig. Alles hier ist so viel schöner als im Brachland.“ Sein Blick traf ihren. „Alles …“
Sie räusperte sich und unterbrach den Blickkontakt, um seine Verletzungen weiter zu begutachten. Die Falle war direkt über seinem linken Fußgelenk zugeschnappt. Auf seinem Knöchel und im Laub, auf dem er lag, war viel Blut. Aber inzwischen schien die Wunde nicht mehr zu bluten. Allerdings schwoll sein seltsam aussehender Fuß schon an, und seine Haut … Sie ließ den Blick über seinen Körper wandern. Seine Haut war blasser als die eines Menschen, aber sie schien auch leicht zu schimmern, als wäre er aus Mondlicht erschaffen worden. Sein Körper war dem eines Menschen sehr ähnlich. Er war groß, muskulös und gut gebaut. Sein Haar war so silberblond, dass es sie ebenfalls an den Mond erinnerte. Seine Augen waren leicht mandelförmig und hatten eine ungewöhnliche Bernsteinfarbe. Aine musste zugeben, dass er exotisch und seltsam aussah, aber durchaus nicht unattraktiv war. Sofort rief Aine sich zur Ordnung. Menschen hatten keine daunenbesetzten Flügel, die sich an den Körper pressten.
„Ich muss diese Falle öffnen, aber ich mache mir Sorgen, dass die Blutung wieder einsetzt, sobald dein Bein frei ist.“
Er nickte. „Ich verstehe.“
„Ich brauche etwas, um es zu …“ Sie hielt inne und dachte nach. „Das Lederband, in deinem Haar. Das brauche ich.“
Tegan hob die Hand, doch bei der Bewegung zuckte er wieder unter Schmerzen zusammen.
„Lass mich das machen.“ Sachlich näherte Aine sich seinem Kopf und zwang sich, nicht zu zögern, sondern ihm das Lederband einfach aus dem Haar zu ziehen. Sein silbernes Haar war lang und fühlte sich an ihren Fingern wie Seide an. Sie sah, dass seine Ohren für ein so großes Wesen überraschend klein und leicht spitz waren, als hätten die Feen ihn dort berührt.
Bei der Göttin! Feen? Diese Kreatur ist ein Dämon, kein harmloser Kobold. Sie wandte sich wieder seinem Bein zu und blickte auf, ohne ihm in die Augen zu schauen. „Ich binde direkt über der Wunde ab, hoffentlich ist keine Arterie verletzt.“
„Es kann nicht schmerzhafter werden, als es bereits ist.“ Tegan versuchte zu lächeln, aber es kam nur eine Grimasse dabei heraus.
„Da liegst du falsch“, sagte Aine ernst und zog das Lederband fest. Dann sah sie ihm in die Augen. „Bereit?“
Als er die Finger in den Erdboden grub, glaubte Aine, weitere Krallen gesehen zu haben. Er nickte. „Bereit.“
Vorsichtig legte sie beide Hände auf die Falle, atmete tief ein und zwang die beiden mit eisernen Zähnen bewehrten Hälften auseinander. Tegan schrie, aber sie hörte ihn kaum. Denn als wäre ein Damm gebrochen, sprudelte plötzlich sein Blut aus der Arterie.
Schnell nahm sie ein kleines Holzstück, schob es unter das Band und drehte es so fest sie konnte, doch
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