Verrat im Zunfthaus
verlobt waren.» Ihre Miene verfinsterte sich, und sie schluckte hart. «Meine Schwester hat mir so einiges erzählt. Aber die Sache war sowieso schon seit längerem bekannt. Vielleicht nicht in Apothekerkreisen», setzte sie hinzu, als sie Adelinas leichtes Kopfschütteln bemerkte. Sie tupfte sich mit dem weiten Ärmel ihres blauen Surkots die Augen. «Mein Vater hat Avarus immer beigestanden und sich bemüht, Hirzelins Anfeindungen abzuwehren.»
Adelina blickte Marie aufmerksam an. «Könnt Ihr Euch denn vorstellen, wer Eure Schwester ermordet haben könnte?»
«Nein. Nein, ich … nein.» Marie schüttelte heftig den Kopf und kämpfte sichtlich mit den Tränen. «Ich kann noch gar nicht begreifen, dass sie tot sein soll.»
«Beruhige dich, Marie.» Fürsorglich führte Reese die junge Frau zu einem Schemel und brachte sie dazu, sich zu setzen. «Ich habe gleich gesagt, du solltest nicht mitkommen. Es ist nicht gut für dich …»
«Ach was, nicht gut!» Verärgert blitzte Marie ihren Onkel an. «Meine Schwester wurde ermordet! Soll ich da tatenlos herumsitzen? Meine Mutter ist ganz krank vor Kummer. Sie hält sich nur noch aufrecht, weil jemand sich um die Trauerfeier kümmern muss. Vater sitzt inseinem Kontor und spricht mit niemandem mehr. Und jetzt ist Avarus auch noch verschwunden. Es ist alles ganz furchtbar …»
«Jungfer Marie, wäre es möglich, dass Euer zukünftiger Schwager etwas über den Mord weiß oder damit zu tun hat?», fragte Adelina geradeheraus.
«Avarus?» Maries Ausruf klang so entsetzt, dass Adelina abwehrend die Hände hob. «Verzeiht, aber ich dachte nur …»
«Was? Dass er sie umgebracht hat?» Marie sah sie böse an. «Wie könnt Ihr es wagen?»
Adelina ließ die Hände wieder sinken. «Ich wage gar nichts, Jungfer Marie. Aber es ist doch wohl so, dass Meister Vetscholder seit Belas Tod verschwunden ist. Ihr wisst es vielleicht noch nicht, aber mein Gemahl, der Medicus Neklas Burka, hat Bela gestern auf Anweisung des Vogts untersucht. Dabei hat er festgestellt, dass sie schwanger war.»
«Wie bitte?» Reese starrte sie verblüfft an. «Warum erfahre ich das erst jetzt? Scherfgin hätte mich darüber in Kenntnis setzen müssen!»
«Ich weiß, dass sie schwanger war.» Marie stand von ihrem Schemel auf und trat ans Fenster. Ohne sich umzudrehen sprach sie, den Blick auf die gegenüberliegende Häuserfront gerichtet: «Sie wusste es seit ein paar Wochen und hat es mir sofort erzählt. Ich musste ihr schwören, dass es ein Geheimnis bleibt. Oh, lieber Gott!» Sie schluchzte leise.
«Weiß Avarus von dem Kind?», hakte Reese leise nach. Er war neben Marie getreten, schien sich jedoch nicht zu trauen, sie zu berühren.
«Er weiß es. Natürlich weiß er es.»
Adelina trat nun auch ans Fenster. «Dann ist er also der Vater?»
Marie drehte sich zu ihr um und sah ihr fest in die Augen. «Nein, er ist nicht der Vater.»
***
«Gut, dass Ihr wieder da seid, Meisterin.» Hinter dem Apothekertresen stand Mira und füllte frisches Konfekt aus einer Schüssel in kleine Holzkästchen.
Adelina sah sie überrascht an und warf einen Blick in die fast leere Schüssel. «Was tust du denn da, Kind?»
«Ich fülle ein paar der Kästchen, die Meister Schuller vorhin gebracht hat, Meisterin. Sie sind doch für das Konfekt gedacht, oder nicht? Während Ihr fort wart, kamen drei Männer und eine Frau und wollten Konfekt kaufen.»
«Ach?»
«Und weil Ihr mir erlaubt habt, die Süßigkeiten herauszugeben, wenn Ihr nicht da seid oder keine Zeit habt, habe ich das auch getan.» Mira zog die Geldkatze unter dem Tresen hervor und öffnete sie. «Ich weiß ja, wie viel ein Kästchen kostet.» Sie griff in die Kassette und hielt Adelina dann ein paar Münzen hin.
Adelina warf einen kurzen Blick darauf und nickte dann anerkennend. «Sehr gut, Mira. Leg das Geld an seinen Platz zurück, und wenn du mit dem Einpacken des Konfekts fertig bist und noch etwas übrig sein sollte, darfst du dir zwei Stücke nehmen.»
Miras Augen blitzten erfreut auf. «Danke, Meisterin.»
«Heute Nachmittag gehe ich mit dir und Griet zum Schneider. Ihr benötigt dringend neue Kleider. Sieh zu,dass du bis dahin die restlichen Holzkästchen im Hinterzimmer verstaut und die leeren Glasphiolen gesäubert hast.»
Während Mira sich wieder an ihre Arbeit machte, nahm Adelina den Platz hinter dem Tresen ein. Sie bediente einige Kunden und dachte dabei über das nach, was sie heute von Marie erfahren hatte. Sie überlegte gerade,
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