Verrat in Freistatt
jedem Schritt folgten, und in der man nachts, wenn man einen Schrei hörte, nicht zu Hilfe rannte, sondern hastig seine Tür verschloß. In der Hauptstadt muß es besser sein; es muß doch irgendeinen Ort geben, wo Gilla und ich sicher und in Frieden leben können!
Wieder griff er nach dem Wein, doch nun schmeckte er sauer, und er setzte den Kelch halbvoll ab. Corcidius war es bestimmt egal, wenn er den Empfang jetzt verließ, nachdem er sowohl das Gemälde als auch seinen Schöpfer bereits vorgeführt hatte. Lalo sehnte sich nach daheim.
Er stand auf, ging um die Säule herum und blieb erschrocken stehen, als sich etwas vor ihm zu bewegen schien. Einen Augenblick später lachte er, denn er erkannte, daß es sein Spiegelbild auf der glänzenden Marmorwand war. Leicht benommen schaute er auf die glitzernde Stickerei seines Festwamses und den Glanz seines vornehmen Beinkleides, doch sie vertuschten weder seine schmalen hängenden Schultern noch den Bauch, der sich in letzter Zeit gerundet hatte. Selbst daß sein helles rötliches Haar sich gelichtet hatte, verheimlichte die Spiegelung nicht. Doch durch den dunklen Marmor bedingt oder den Lichteinfall wirkte Lalos Gesicht so beschattet wie das des iliger Königs.
Um die Empfangshalle herum stahl Lalo sich zur Seitentür. Der Korridor schien nach der lauten Musik und der weinangespornten Unterhaltung der Gäste geradezu totenstill zu sein; und die anschließenden Amtsräume, zwischen dem Empfangssaal und der Außenseite des Palastes, waren dunkel und leer. Wie befürchtet war die Tür zum Innenhof verschlossen. Seufzend nahm Lalo die andere Richtung. Er hastete vorbei an der Gerichtshalle, die unmittelbar am Statthalterpalast anschloß, und durch eine der großen Flügeltüren auf die Freitreppe.
Am Kopf- und Fußende der Treppe brannten Fackeln, die ihren flackernden Schein auf die Rüstungen der Wachen warfen, die steif auf jeder der vier breiten Stufen standen, Fackeln, die die Wimpel an den Speeren purpurn aufleuchten ließen und die Streifen von Licht in die Dunkelheit des Vorhofes warfen - durch sie wirkten die Soldaten wie zum Palast gehörende Skulpturen.
Lalo blieb kurz stehen, weil ihm dieser Eindruck auffiel. Er bemerkte, daß der erste Wächter Quag war. Er nickte ihm zu und erhielt als Gegengruß ein Zucken des Augenlids im ansonsten reglosen, geduldigen Gesicht des Höllenhunds.
Lalos Sandalen knirschten auf Sandkörnern, während er die Steinplatten des Hofes überquerte. Begeistertes Klatschen klang aus dem Empfangssaal, doch aus dieser Entfernung so gedämpft wie an den Strand spülende Wellen. Er nahm an, daß die Konkubinen nun ihre letzten Schleier abgeworfen hatten, und erinnerte sich daran, daß er Gilla die Entwürfe zeigen wollte, die er von ihren Proben gemacht hatte.
Einer von Honalds zahlreichen Neffen stand Posten im Wachhäuschen am Tor der dicken Außenmauer. Heute waren beide Flügel weit geöffnet, und Lalo konnte ungehindert passieren. Sehr wohl entsann er sich der Zeit, da sein gesamter Besitz nicht gereicht hätte, den Torhüter zu bestechen, ihn hier einzulassen. Er fühlte sich leicht schwindelig, obwohl er doch bloß wenig Wein getrunken hatte.
Warum kann ich nicht mit dem zufrieden sein, was ich habe? fragte er sich. Was ist nur los mit mir?
Er überquerte den breiten Vashanka-Platz schnelleren Schrittes in Richtung des Westtors und Statthalterwegs. Einen Augenblick lang trug ein Windstoß aus dem Osten den Geruch aus dem Tiergarten herbei, und er spürte eine kühle Meeresbrise im Gesicht.
Außerhalb des Westtors blieb er kurz stehen und wendete seufzend seinen Umhang, so daß die unauffälligere Innenseite seinen Festtagsstaat verbarg. Es war zwar wohlbekannt in den richtigen Kreisen, daß Lalo nie Geld bei sich trug - früher, weil er keines gehabt hatte, und jetzt, weil Gilla es aufbewahrte -, aber er wollte nicht, daß es im Dunkeln zu einem Versehen kam.
Ein abnehmender Mond erhellte bereits den Himmel, und die Dächer der Stadt hoben sich unregelmäßig gegen die Sterne ab. Um diese Stunde hatte Lalo Freistatt nicht mehr nüchtern gesehen, seit er sich als Junge von seinem Lager hinter seines Vaters Werkbank hervorgestohlen hatte, um mit seinen Freunden auf Abenteuersuche zu gehen. Im Augenblick kam die Stadt ihm geradezu ehrbar vor, da die nächtlichen Schatten alle Armseligkeit und Häßlichkeit verbargen.
Seine Füße hatten ihn fast bis zur Schattengasse getragen, ohne daß es ihm bewußt gewesen wäre, als er
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