Verrat in Paris
berührte ihr Gesicht. Der Geschmack seiner Lippen schickte einen erregenden Schauer durch ihren Körper. Wenn das meine Strafe ist, dachte sie, begehe ich dasselbe Verbrechen wieder … Seine Finger glitten durch ihr Haar und verfingen sich darin, je inniger er sie küsste.
Ihre Knie wurden weich, aber es war ihr egal. Sie hörte ihn lustvoll stöhnen, und ihr war klar, dass diese Küsse gefährlich waren, für sie und für ihn. Doch auch das war ihr egal – sie war zu allem bereit.
Und dann hielt er ganz plötzlich inne.
Gerade hatte er sie noch geküsst, jetzt erstarrten seine Hände auf ihrem Gesicht. Aber er löste sich nicht von ihr. Sie spürte, dass sich sein Körper anspannte, und er hielt sie fest im Arm.
Seine Lippen glitten zu ihrem Ohr.
»Geh los«, flüsterte er. »Richtung Concorde.«
»Was?«
»Beweg dich. Aber ganz normal. Ich nehme dich an der Hand.«
Sie sah ihm ins Gesicht und bemerkte, dass er irgendetwas wahrgenommen hatte. Sie schluckte die Fragen herunter, die sie gern gestellt hätte, und ließ sich von ihm an die Hand nehmen.
Sie drehten sich um und schlenderten gemächlich in Richtung 62
Place de la Concorde. Er machte keinerlei Anstalten, ihr etwas zu erklären, aber daran, wie er ihre Hand umklammerte, spürte sie, dass etwas nicht in Ordnung war, dass das kein Spiel war.
Sie spazierten wie ein ganz normales Liebespaar durch die Gärten, vorbei an den dunklen Blumenbeeten und den
geisterhaft anmutenden Statuen. Beryl nahm nach und nach die Geräusche um sie herum wahr: den entfernten Verkehrslärm, den Wind in den Bäumen, ihre Schritte auf dem Schotterweg …
Und die Schritte von jemand anderem, irgendwo hinter ihnen.
Nervös drückte sie seine Hand. Er erwiderte ihren
Händedruck, und sofort verschwand ihre Angst. Ich kenne diesen Mann erst einen Tag, dachte sie, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich mich auf ihn verlassen kann.
Richard beschleunigte den Schritt unmerklich. Der Fremde folgte ihnen noch immer. Sie hielten sich rechts und durchquerten den Park in Richtung Rue de Rivoli. Der Verkehrslärm wurde lauter und übertönte die Schritte ihres Verfolgers. Jetzt wurde es am gefährlichsten – sie verließen gleich die Dunkelheit des Parks, und ihr Verfolger musste handeln. Schon drang der helle Lichtschein von der Straße zu ihnen hinüber. Wenn wir losrennen, schaffen wir es, überlegte sie. Wir rennen unter den Bäumen her, und dann sind wir in Sicherheit, wieder unter Menschen. Sie machte sich bereit loszusprinten und wartete auf Richards Kommando.
Doch er machte keine plötzlichen Bewegungen. Auch ihr Verfolger nicht. Hand in Hand schlenderten sie und Richard scheinbar unbeschwert ins gleißende Licht der Rue de Rivoli.
Erst als sie in der Menge der Passanten untertauchten, normalisierte sich Beryls Puls wieder. Hier droht keine Gefahr mehr, versuchte sie sich zu beruhigen. Keiner würde es wagen, sie mitten auf einer belebten Straße anzugreifen.
Dann sah sie Richard an und bemerkte, dass seine Anspannung keineswegs gewichen war.
63
Sie überquerten die Straße und gingen bis zur nächsten Straßenecke.
»Bleib mal stehen«, sagte er. »Schau dir eine Weile das Schaufenster an.«
Sie blieben vor einem Schokoladengeschäft stehen. Durch die Scheibe sahen sie eine verführerische Auswahl an Konfekt: Himbeertörtchen, Trüffel und türkischer Honig, alles gebettet in ein Nest von Zuckerwatte. In dem Geschäft stand eine junge Frau an einem Bottich mit geschmolzener Schokolade, in den sie frische Erdbeeren tunkte.
»Worauf warten wir?« flüsterte Beryl.
»Mal sehen, was passiert.«
Sie starrte ins Schaufenster, in dem sich die vorbeigehenden Passanten spiegelten. Ein Paar, Hand in Hand. Drei Studenten mit Rucksäcken. Eine Familie mit vier Kindern.
»Wir gehen weiter«, entschied Richard nach einiger Zeit.
Sie schlenderten gemütlich die Rue de Rivoli in westlicher Richtung entlang. Sie erschrak, als er sie plötzlich nach rechts in eine Seitenstraße zog.
»Lauf los!« rief er.
Und plötzlich rannten sie. Sie bogen noch einmal scharf rechts ab und duckten sich unter einen Bogen. Im Schatten eines Hauseingangs zog er sie so nahe an sich, dass sie seinen Herzschlag an ihrer Brust und seinen Atem auf ihrer Stirn fühlte.
Sie warteten.
Wenige Sekunden danach hörten sie Schritte. Die Schritte kamen näher, wurden langsamer. Plötzlich war nichts mehr zu hören. Starr vor Angst drückte sich Beryl fester gegen Richard und sah einen Schatten am
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