Verrat und Verführung
von Lord Rockley einschüchtern zu lassen.
„Geh jetzt, Christina“, drängte er. „Geh zu Mark und erkläre ihm, dass wir einen unwillkommenen Hausgast haben und er sich vorsichtig verhalten muss. Bleib bloß nicht zu lange weg! Rockleys Augen sind überall. Und ich fürchte, sein Interesse am Feuerwerk wird bald erlöschen.“
Schweren Herzens schaute Christina zu ihrem Bruder auf. Wie seine geröteten Wangen und die glänzenden Augen verrieten, hatte er zu viel Wein getrunken. Offenbar konnte er unter dem Einfluss von Alkohol seine Sorgen wenigstens zeitweise verdrängen.
„Glaubst du, er hat schon Verdacht geschöpft, William?“
„Keine Ahnung. Also müssen wir aufpassen und einen klaren Kopf behalten. Wenn wir uns schuldbewusst benehmen, sind wir verloren. Vorhin sah ich dich mit Rockley sprechen. Erzähl ihm bloß nichts, das uns belasten könnte“, warnte er. „Er steckt voller Tücke – und er weiß, wie man zwei und zwei zusammenzählt. Wenn er auch nur den leisesten Verdacht schöpft, wird er weder ruhen noch rasten, bis er der Sache auf den Grund gegangen ist und uns alle festnimmt. Geh, Christina. Und komm möglichst schnell zurück.“
„Also gut. Und – William, bitte, trink nicht so viel. Ich hasse es, wann immer ich dich in diesem Zustand sehe.“
Den finsteren Blick, den er ihr zuwarf, nahm sie nicht wahr, denn sie hatte sich bereits abgewandt und begrüßte einen jungen Nachbarn. Offenbar schlenderte er heran, weil er sich mit den Geschwistern unterhalten wollte. Sie entschuldigte sich lächelnd und eilte davon. Jetzt durfte sie keine Zeit mehr verlieren.
Den Beobachter, der etwas abseits in einer schattigen Ecke stand, bemerkte sie nicht.
Verblüfft und fasziniert hatte Simon die Begegnung zwischen Miss Atherton und ihrem Bruder mit angesehen. Wie aufgeregt sie wirkte – und seltsamerweise ängstlich … Danach blieb sie kurz stehen, sprach mit einem jungen Mann, und ihr Kummer verschwand hinter einem strahlenden Lächeln. Entweder war sie eine hervorragende Schauspielerin – oder eine verzweifelte junge Dame.
Irgendetwas wusste sie, das spürte Simon. Etwas, das sie mit aller Macht verheimlichen wollte … Doch er konnte ihre Naivität nicht mit der Rolle einer Verschwörerin in Einklang bringen. Vielleicht irrte er sich. Nein, wohl kaum, entschied er. Im Lauf seiner Arbeit hatte er sich eine untrügliche Menschenkenntnis angeeignet.
Nachdem er wahre Wunderdinge über den grandiosen Herrschaftssitz Oakbridge Hall gehört hatte, war er bei seiner Ankunft erstaunt gewesen, denn das Gebäude und das Landgut befanden sich in einem ziemlich heruntergekommenen Zustand. Entweder hatte William Atherton nicht die Talente seines Vaters und seines Großvaters geerbt und verstand es nicht, so gut wie seine beiden Vorgänger zu wirtschaften. Oder irgendetwas war geschehen.
Die Stirn gerunzelt, fühlte Simon die sonderbare Atmosphäre einer Gefahr, die dieses Haus erfüllte. Beinahe erschien sie ihm greifbar. Warum er beunruhigt war, konnte er nicht feststellen. Vielleicht lag es an der Stille, nachdem alle Leute hinausgegangen waren, um das Feuerwerk zu beobachten.
Und plötzlich stieg eine unerklärliche Ahnung in ihm auf – irgendetwas würde sich ereignen.
Als er in die Eingangshalle ging, sah er seinen Kammerdiener Henry am Fuß der Treppe sitzen und schaute ihn kurz an, bevor sein Blick Miss Atherton folgte, die in die Richtung der Dienstbotenquartiere verschwand. Ausdruckslos wandte er sich wieder zu seinem Diener. Zwischen den beiden Männern kam es zu einer stummen Verständigung.
Was sein Herr verlangte, wusste Henry sofort. Fast unmerklich nickte er und folgte der Gastgeberin.
Christina durchquerte die Küche, wo sich der Eingang zur Kellertreppe befand. Geschäftig eilten die Dienstboten umher, erfüllten ihre Pflichten und fanden den Anblick ihrer Herrin nicht ungewöhnlich.
Aber vielleicht hätten sie neugierig getuschelt, wäre ihnen aufgefallen, wie sie einen Schal von einem Wandhaken nahm, sich ihn um die Schultern legte und durch die Kellertür schlüpfte. Die Stufen führten zu den Weinfässern und -gestellen hinab. In den Laternen an den Wänden flackerten Kerzen, um den Dienern den Weg zu erhellen, falls noch mehr Wein für die Festivitäten benötigt wurde. Die Röcke gerafft, ging sie weiter und wünschte, sie müsste Mark Buckley nicht gegenübertreten.
Nur wenige Leute wagten sich in diesem unterirdischen Bereich über den Weinkeller hinaus. Im grob
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